Manchmal wurde es richtig flach. Die Berge zogen sich ins Hinterland zurück. Weiße Schneehauben waren seit ein paar Tagen (seit wann eigentlich genau?) verschwunden.
Sommerfarben
Jetzt dominierten die Bauernhäuser. Fischerkaten wurden seltener.
Aber der Sommer gleicht hier eher dem mitteleuropäischen Frühling
Nicht mehr jedes Haus war rotbraun oder gelb. Manche im aristokratischen Weiß.
Unbefleckt
Mit schöner Schreinerkunst.
Keusch
Aber die Berge kamen zurück. Forderten mich wieder heraus.
Runter macht es mehr Spaß
Ich machte häufiger Rast.
Warmer Rastplatz. Die Sonne wärmte mich und den Stein
Der Wald wuchs in das Meer hinein. Von oben wirkten die Fjorde jetzt wie aufgeraute Waldseen.
Ich warte immer noch auf den ersten Indianer
Nach etwa 100 Kilometern hatte ich Glück. Ich spechtete in einem Dreiseelendorf ein “Feriehus”, das sogar noch ein Zimmer frei hatte. Das teuerste natürlich. Ein riesiges Apartment mit Einbauküche. Ich hatte vorgesorgt. Ich hatte genügend Wein, Brot, Käse und Dosentunfisch (in Öl und peperoni-scharf) dabei. Ich wurde satt. Und durstig blieb ich auch nicht.
Der Morgen legte eine Regenpause ein. Ließ mich den Melbystrand genießen. Im Sommer müssen hier Rimini-Zustände herrschen.
Ziemlich bedünt
Jetzt war ich allein.
Ziemlich bespült
Alle 100 Meter druckte sich ein Fertighäuschen hinter den Dünen weg. Ich weiß nicht, ob die alle bewohnt oder nur Ferienwohnungen waren. Menschen sah ich nicht.
Eingebettet
Es ging kilometerweit so weiter. Grundstück an Grundstück. Ohne dass die Häuser sich mal zu einem Dorf klumpten.
Häusersaum
Aber dann doch: eine winzige Ansiedlung, die den Namen Ortschaft verdiente. Sogar mit einem Kurhotel. Das jedoch schon in Herbst-Winter-Frühlingsschlaf gefallen war.
Eingemottet
Der Fahrradweg eh schon einsam und dann führte er auch noch durch einen stummen Wald.
Beschattet
Nur manchmal Zeichen, dass in dieser Gegend tatsächlich jemand lebte.
Farbklecks
Aber selbst die Bauern waren heute nicht auf ihren Feldern.
Gegen Mittag erreichte ich ein Naturschutzreservat.
Gebeugt, nicht gefällt
Einsamkeit lässt sich nicht steigern. Einsam, einsamer? Nee, geht nicht
Gestrandet
Ich konnte gar nicht so viel atmen, wie der Sauerstoff sich mir aufdrängte. Reinste Luft. Aber feucht-schwer und eigenartig dunkel.
Gekurvt
Immerhin regnete es mal eine Weile nicht. Der Herbst hatte Schweden bereits fest im Griff. Manchmal raschelte das rote Laub (raschelt es anders als grünes?).
Gewässert
In einer Bucht ein Fischereibetrieb ohne Fischer.
Verlassen
Aufgespult
Alles verrammelt und verriegelt.
Rot macht froh
Natur nur für mich.
Begrünt
Verweilen? Nee, ging auch nicht. Regen kündete sich an. In der nächst größeren Stadt machte ich eine kurze Rast. Kaufte mir auf dem Marktplatz von Halmstad an einem Stand einen Hotdog. 20 Kronen. Ich hatte aber nur einen 100er Schein und der Verkäufer konnte nicht herausgeben. Er wollte mir die Wurst schenken. Ich wehrte mich. Ich fragte ihn, woher er stamme. Es war klar, dass er kein gebürtiger Schwede war. Er antwortete (in gebrochenem Englisch): aus Syrien. Mit der ersten Flüchtlingswelle zu Beginn des Bürgerkrieges war er hierher gekommen. Offensichtlich hielt er mich für bedürftig (sah ich schon nach 3 Wochen Rundreise so heruntergekommen aus?) und zeigte Solidarität mit einem Schicksalsverwandten (sah ich wirklich so abgemagert und hungrig aus?). Ich drückte ihm 2 Euro in die Hand und hoffte, er konnte sie irgendwo tauschen. Er winkte mir nach.
Spät in Varberg eingetrudelt. Pitschenass. Das einzige Hotel mit noch freien Betten war das ehrwürdige alte Stadthotel. Very british. Die Hautevolee war hier versammelt bei Klaviergeklimper und Whisky-Tasting. Frauen (vor allem junge) in Abendgarderobe, Männer in Anzug und mit Hipsterbart. Ich kam mir fehl am Platz vor. (Sah ich wirklich so zerzaust aus?)
Drei Dinge habe ich heute über mein Gastland gelernt: 1) Beim Fahrradfahren kann ich träumen. Das Velo-Netz ist so irre gut, dass ich mich weder auf die Straße noch auf Autos konzentrieren muss. 2) Im Einwanderungsland Niederlande sehe ich jetzt schon 200 Kilometer lang nur Weiße: am Strand, in den Straßen, in den hochpreisigen Restaurants. Nicht mal als Servicekraft ein Gesicht, aus dem der Migrationshintergrund lächelt. Offenbar sind all die Indonesier, Surinamer, Türken und Curaçaoer in den großen Städten. 3) Es gibt Rückenwind. Zum ersten Mal auf meiner Europa-Tour.
Der Tag begann mit einem Besuch in einem Fahrradladen. Meine Schaltung zickte, ich wollte sie reparieren lassen. Ging aber nicht. Eine Gruppe deutscher Rentner bevölkerte den Shop und ließ sich ausführlich in Sachen E-Bike beraten.
Draußen lärmte der pittoreske Wochenmarkt, rund um die Kirche von Zoutelande.
Marktkirche
Sogar einen großer Stand mit Fahrradartikeln gab es.
Typischer als Holzpantoffeln
Das Wegenetz: großartig. So gut wie immer mit getrennten Rad-Spuren. Mit Autos kam man nur selten in Kontakt. Mit verbissenen und durchgeknallten Radlern ebenso wenig.
Radlerparadies
Ich hatte viel Zeit, abzutauchen … in die Farben … ins strahlende Meer … in mich.
Dreikäsehoch
Die Dörfer herausgeputzt. Adrett. Fast klinisch sauber. Überfüllt von deutschen Rentnern aus dem Rheinland. Ich hörte mehr rheinischen Dialekt als holländisch.
Drei Seelen hoch
Die Strände wild. Rauschhaft. Heute auch stürmisch.
Geerdet
Jugend immer dort in der Überzahl, wo es Sportmöglichkeiten gab.
Gelüftet
Gewässert
Ich durchfuhr das Holländiche Delta. Die großen Flüsse mündeten hier: Rhein, Maas und Schelde. Ich befuhr die größten Sturmflutwehre der Welt. Gigantische Bauwerke, die das Meer bändigen sollen.
Weltwunder
Ich durchradelte Industrielandschaften, die so proper waren, dass sie fast etwas Idyllisches vorspiegelten.
Geputzt
Gewächshäuser wuchsen aus der Erde (statt Gerste, Weizen und Mais). Wie riesige Kunst-Pavillons für eine Dauerausstellung “Virtuelle Landwirtschaft”. Arbeiter, Bauern sah ich nicht. Vielleicht braucht man sie hier auch nicht.
Künstlich, kunstfertig
Ein imposantes Land.
Sehr spät in Den Haag eingefahren. Es dunkelte bereits.
Unterkunft: Hotel Excelsior. Wie alle Hotels in der Hauptstadt extrem überteuert. Für mein kleines (schönes) Zimmer berappte ich 90 Euro (mit Frühstück). Fahrrad auf der Straße gelassen. “Kein Risiko” sagte der Portier.
Die Ausfahrt aus Konstanza zog sich. Irre lange Sandküste mit Totalbebauung. Sogar eine Gondelbahn gab es hier – nur für Sommergäste. Über den Dächern der Vorstadt – von Kneipe zu Kneipe.
Für Fußfaule
Schnell wurde es dann ländlich. Mit kleinen Straßen und kleinen Straßenrandkapellen.
Für Gottesverehrer
Rumänien änderte schließlich urplötzlich seinen Charakter. Versuchte nicht mehr krampfhaft mediterran zu sein. Wurde authentisch. Je näher ich dem Donaudelta kam, umso schöner die Dörfer. Wunderhübsch und vor allem: FARBIG! Ein Fest, durch sie durchzuradeln.
Nach 88 Kilometern in Jurilovka eingefahren. Am Rande des Donau-Deltas. Sehr gepflegter Ort, sehr gepflegte Bauernhöfe.
Für Farbenliebhaber
Die Gegend war ziemlich fruchtbar. Riesige Felder. Sie ernährten die Bauern gut. Der Zeitpuls schlug hier langsamer, als ich es gewohnt war. Ich trug Erinnerungen an Fotos in mir, die die bäuerliche Welt meiner Großeltern zeigten, vielleicht 60 Jahre her – da sah es nicht anders aus.
Für Nostalgiker
Meine Unterkunft war schnell gefunden. Ausgestattet mit einem wundervollen Blick auf Dorf und Meer.
Für mein Auge
Ich passte mich dem entschleunigten Zeitpuls an, begrüßte mich selbst erst einmal mit einem Schluck Gerstensaft.
Für (oder gegen?) den Durst
Erkundete dann ein wenig das Hafendörfchen.
Für Ausflügler und Fischer
Fischer allerdings dominierten hier nicht. Die Bauern beherrschten den Ort.
Für den Überblick
Kuhherden auf den hügeligen Weideflächen ringsum. Mit Trinkwasser zur Genüge. (Ist das nicht salzig?)
Für die Kuh
Im letzten Sonnenlicht …
Für Babywünsche
… suchte ich mir ein offenes Restaurant (gab es nicht) … eine Kneipe (gab es) … aß dort eine Pizza (ging so) und schaute der lokalen Jugend zu, wie sie sich amüsierte. Ihr ging es gut. Mir auch.
Unterkunft: Pension Palaghia. Am Ortsrand. Est bin ich erschrocken, als ich sah, dass es eine (kleine, sehr kleine) Tankstelle war. Dann war ich begeistert. Zimmer gingen hinten raus mit großem Gemeinschafts-Balkon, der den Blick aufs Dorf und das Meer freigab. Neue Pension, modern eingerichtet. Große Gemeinschaftsküche. Sehr unkomplizierte und sympathische Betreiber. 29 Euro (ohne Frühstück).
Langlang der Morgen. Lang entlang der See. Außerordentlich schöne Dünenstrände.
Aufgereiht
Zum ersten Mal Wasserkontakt. Kann’s selbst kaum glauben. (Fahre das Mittelmeer entlang, ohne reinzuspringen.)
Ungeschönt
Blaublau die Radwege.
Alongside
Dann stoppte ich. Sah eine merkwürdiges Trauerarrangement.
Ich verstand nichts (will sagen kein Italienisch). Es handelte sich offenbar um Trauerschmuck für im Einsatz umgekommene italienische Soldaten. Wo? Afrika? Syrien? Wer schmückte? Staat? Militär? Bevölkerung? Waren die Toten (wenn es sich darum handelte) von hier? Haben also Freunde das arrangiert? Mannomann – warum bleib ich so (sprach)dumm!
Was?
Mein Fahrrad bockte plötzlich. Quietschte. Ich sah nach. Die Befestigung des vorderen Schutzbleches hatte sich gelöst und schwingte (schwang?) frei. Mir fehlten Schrauben und Muttern, also schnürte ich das Gestänge mit einem groben Seil (das ich Gott sei Dank mit mir führte) zusammen. Es hielt fürs Erste.
Getackert
Abseits der Küste – Landwirtschaft. Der Boden sah fruchtbar aus (sag ich Bauer!).
Gefurcht
Irgendwann abgekämpft nach Sperlonga reingeradelt. Reizvoll und herbstleer. Luft war raus dem Ort.
Gebräunt
Hoch in die Altstadt gestiefelt und doch immer nach unten geblickt.
Geordnet
Extrem enge Gassen. Extrem schöner Ort.
Gegoldet
Aber die Schönheit der verstohlenen Plätzchen, Winkel, Ecken – sie ließen sich mit meinen fotografischen Mitteln nicht abbilden.
Nicht mal die kleinen offenen wunderschön verkitschten und doch innigen Kapellen.
Gerosat
Kurz vor Sonnenuntergang wieder runter zum Strand gestiefelt. Der Horizont blühte rot. Und obwohl ich extremer Sonnenuntergangs-Allergiker bin, konnte ich nicht anders – ich musste den Auslöser lösen.
3 Stunden gefahren und dann um die Mittagszeit mich mit einem eiskalten Bier gestärkt. Gerade hatte ich Andalusien verlassen und war in die Region Murcia hineingefahren. Ich wusste, gleich hinter Aguila würde ein steiler Aufstieg alles von mir fordern.
Geschafft
Der Berg kostete mich eine Stunde. Dann wieder ab ins Tal. Auch hier erneut Agro-Business. Aber mit nicht ganz so vielen Gewächshäusern. Das Gepflanzte wurde wie Spargelreihen mit Plastik eingehüllt.
Geschlaucht
Überall Saisonarbeiter. Die sich nicht gerne fotografieren lassen wollten. Diese erlaubten es mir, aber nur mit dem Handy. (Das sieht nicht so “gefährlich” aus wie meine Spiegelreflex.) Ob sie den Mindestlohn bekommen? Gut behandelt werden? Eine menschenwürdige Unterkunft haben?
Gestrandet
Ich hatte mir eigentlich für diese Etappe vorgenommen, nicht über Politik nachzudenken. Mich nur auf die Reise und meine Eindrücke zu konzentrieren. Ich schaffte es nicht. Nicht wegen der Migranten, die ich unterwegs immer wieder sah. Ich las (fast) jeden Tag Zeitung (“El País”). Terror in Schweden, Giftgas in Syrien, US Bombardement eben dort, Klassenkampf in Venezuela, Tote im Mittelmeer. Der Horror hörte gar nicht mehr auf. Kann man in solchen Zeiten überhaupt noch unbeschwert (und ohne schlechtes Gewissen) Urlaub machen?
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich fuhr durch eine spanische Gegend, in der die kleinen Bauernhöfe verschwanden…
Windfraß
… die Agrarbarone die Landwirtschaft unter sich ausmachen, Lebensmittel zu industriellen Erzeugnissen umdefinieren. Aber immerhin – hier gibt es Arbeit für die, die welche suchen/brauchen (Migranten).
Ich ließ das Denken sein und konzentrierte mich wieder auf das Naheliegende.
Berge fressen, um ans Ziel zu kommen.
Und wieder ...
geht's …
bergauf
Cartagena müde noch kurz vor Sonnenuntergang erreicht. Die Stadt vibrierte. Die Feierlichkeiten der Semana Santa waren in vollem Gang. Die Straßen auch nachts noch rappelvoll. Die Kellner der unzähligen Kneipen rannten wie um ihr Leben. Ich hatte Mühe, etwas zu trinken zu ergattern.
Unterkunft in Cartagena: Hotel Los Habaneros. Modern. Am Rande der Altstadt. Komfortabel. Etwas mürrischer Service. Fahrrad in Kammer untergestellt. 42 Euro (ohne Frühstück).
Ich brauchte eine Atempause. Ich nahm sie mir. Ein Tag das lokale Kneipenleben in Almería studiert.
Sehr angenehme Stadt. Wenig wirklich Sehenswertes. Aber entspannter Alltag.
Sehr schöne Markthalle.
Befreit von Plastik sahen die Obst- und Gemüseauslagen einladend aus.
Wär ich nur nicht vorher durch die apokalyptische Agro-Landschaft Almerías geradelt. Um Gemüse und Obst zu erzeugen, braucht es keine Bauern mehr. Nur noch Industrie.
Abschied von der Ukraine. Gerne dagewesen. Moderne Stadtmenschen. Land hintendran. Aber nicht so krass wie ich es erwartet hatte.
Herbstgelbstichig
Die letzten Kilometer nochmal das ukrainische Auf und Ab. Ich musste meine Fahrrad-Muldentechnik anwenden. Rasend (sofern nicht zuviele Schlaglöcher) runter – mit Schwung rauf (und die letzten Meter im 1. Gang ächzend).
Silbriggrau
Die Grenze sehr schnell passiert. Habe zwar überhaupt nicht den Formularkampf auf der ukrainische Seite verstanden. Stempel hier und da, Papier in den Pass und wieder raus. Lief aber flott. Höfliche Beamte. Auf der rumänische Seite (EU Außengrenze!) war es mit meinem Pass ein Kinderspiel. (Welch Privileg einen EU-Pass zu besitzen!) Siret, Grenzfluss.
Schimmligblau
Das gleichnamige Örtchen empfing mich mit einem Friedhof. (Künstliche) Blumenpracht.
Tödlichblau
Herbstorangestichig
Das ganze Dorf rumänisch-europäisch beflaggt.
Sternenklar
Obwohl ich gerne in der Ukraine gewesen war, überfiel mich hier in der rumänischen Pampa das eigenartige Gefühl Zuhause zu sein. Ich war im freien Verein EUROPÄISCHE UNION. Ich sah all die Bauern, Schüler, unaufgeregten Fußgänger im Dörfchen als meine Nachbarn. Bürger der EU wie ich. (Hoffentlich macht niemand diese EU politisch kaputt.)
Mein Tagesziel war eines der berühmtesten Moldau-Klöster: Putna. Noch etwa 40 Kilometer vom Grenzübergang entfernt. Ich wählte zunächst die kürzeste Route, geriet aber sehr schnell auf fast unbefahrbares Gelände. Schotterpiste pur. Rumänisches Landleben pur. Pferdegespanne rappelten an mir vorbei.
Wunderbar
Ich fing an, drauflos zu schießen (fotografisch), bis ich mich mit Mühe selbst zügeln konnte.
Ich fragte mich, was mich an solchen Motiven eigentlich interessiert? Was drückten sie aus? Idylle? Natürlich nicht: Das war harte Arbeit. Blick in die vorindustrielle Zeit – wie mit einer Zeitmaschine? Vielleicht. Einheit von Natur und Mensch? Quatsch. Ich Wohlstandsbürger möchte (und könnte) nie so schuften wie diese Bauernfamilien. Es gab nur eine Erklärung, die mir für mein Interesse an diesen Motiven einfiel. Diese Menschen waren unverstellt. Keine Pose, kein Hecheln nach “Likes”. Sie waren die lebendige Tautologie: Sein wie sie sind. Nicht scheinen. Ob sie glücklicher sind? Glaube nicht.
Überlänge
Ich verließ die Schotterpiste wieder, wählte die schnelle Landstraße und kämpfte mit rücksichtslosen Lastwagenfahrern.
Gespanne auf der Straße wären mir lieber gewesen: but not allowed!
Kam aber heil in Putna an.
Unterkunft in Putna: “Cabana Putna Dorina”. Im Dorfzentrum. 10 Minuten Fußweg vom berühmten Kloster Putna entfernt. Auf viele Busgäste eingestellt. Großes Restaurant. Ich aber war allein an diesem Abend. Schön geräumige Zimmer. Für rumänische Verhältnisse ziemlich überteuert. (50 Euro ohne Frühstück). Fahrrad in leerem Gastraum untergebracht.
Die Kanäle laufen schnurstracks. Manche über 50, 60 Kilometer. Keine Biegung, keine Kurve. Direkt in den Horizont.
Die meiste Zeit fuhr ich auf der lärmigen Landstraße, manchmal auf dem Damm selbst. Die vielen versteckten Erdlöcher bremsten mich jedoch gewaltig.
Dammlich geht’s zum Horizont
So wählte ich also wieder Asphalt.
Gut ausgebaut das Straßennetz. Die Züge fahren überpünktlich (das konnte ich in Venedig feststellen). Busse gibt es zuhauf und verbinden noch die kleinsten Ortschaften untereinander. Das Einzige, was bisher nicht in Italien funktioniert: Die Straßenpfosten halten nichts aus. Einer brach unter der Last meines abgestellten Fahrrads regelrecht ab.
Ausgebremst
Anyway. Ich schoß mein Selfie.
Spieglein Spieglein an der Straß’ ...
Nach zwei Stunden die Provinz Venezia verlassen und die Po-Ebene erreicht. Brettflach. Kanäle, Flussarme, Felder, Moore. Ab und zu ein Gehöft oder eine Winzsiedlung.
Einöd mit Zweibaum
Jetzt bin ich schon 3 Tage unterwegs und habe immer noch nicht dass offene Meer zu sehen bekommen. Lagunen, Flüsse, Bäche, Binnenseen. Viel Wasser.
Ausgebootet
Immer wieder Fliegenschwärme, die über mich herfielen. Oder waren es Mücken? Winzkäfer? Stachen jedenfalls nicht. Die Landschaft eintönig, mit nur wenig Farbkraft. Nur ab und zu lauschige Winkel.
Kreuchtierparadies
Eigentlich wirkte vieles verlassen oder zumindest eher ärmlich. Doch dann immer wieder kleine Feudalgrundstücke mit ansehnlichen Bauernhäusern.
Sogar das Wasser schimmert klar
Die Fischerbehausungen dagegen eher ärmlich. Die Bootsschuppen aus Wellblech. Improvisierte Kleinsthäfen.
Sogar das Wasser dümpelt faulig
Armut ist pittoresker als Reichtum
Ein altes Fischerpaar näherte sich.
Immer zu zweit!
Eine Hand hilft der anderen
Der Fang: Krebse satt und dazwischen/darunter/darüber: ein Aal.
Hölleneimer
Sic!
Kaum war der Fang entladen, stiefelte das Fischerpaar über die Straße die nächste Böschung runter, bestieg ein Kleinstboot und kontrollierte geduldig die ausgelegten Reusen im nächsten Gewässer.
Warum finden Krebse und Aale nicht mehr aus der Reuse raus?
Lange dachte ich, während ich weiterfuhr, ich würde mich einem Leuchtturm nähern. Doch als ich davor stand, entpuppte sich der Turm als ein Taubenhaus(?).
Taubenschornstein
Merkwürdige Dinge gab es in der Po-Ebene. Auch museumsreife Traktoren, deren Motoren liefen, ohne dass sich ein Fahrer in der Nähe befand. Irgendetwas wurde gepumpt. Es erschloss sich mir aber nicht, was!
Pumpstation
Einige Kilometer vor meinem Tagesziel kam mir ein Fahrradwanderer entgegen, der sich offensichtlich verirrt hatte. Ein 76jähriger Schweizer, der in der Poebene Vögel spotten wollte und in genau das gleiche Dorf zu radeln gedachte wie ich auch. Nur: Er fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Es kostete mich einige Minuten, ihm klar zu machen, dass er sich irrte. Er sagte, er habe schon 60 Kilometer auf dem Buckel. Ich lotste ihn (mein HandyNavi überzeugte ihn!) auf den richtigen Weg.
Good country for old man
Wir fuhren Seit an Seit weiter. Baten unterwegs eine Dame am Wegrand, ein Foto von uns beiden Italienbummlern zu schießen. Es gelang ihr nur mit Mühe, uns unsere Beine nicht vollständig abzuschneiden. Auch nachschärfen (am Abend) konnte das Foto nicht wirklich retten.
Peter & Stefan
Unterwegs erzählte mir “Peter”, so hatte er sich mir vorgestellt, dass er vor kurzem von seinen Ärzten MS diagnostiziert bekommen habe. Jetzt wolle er noch so lange Fahrrad fahrend die Welt erleben wie er noch strampeln/gehen könne. Er hatte kein Hotel vorbestellt, nichts. Mit 76! Ich führte ihn zu meiner Unterkunft, die ich schon am Morgen per Internet gebucht hatte. Und dachte: Wow!
This is the end
In Porto Tolle, dem Zentrum der Po-Ebene, nahmen wir noch zusammen das Abendbrot ein. Peter erzählte von einem langen Leben. Good man!
Unterkunft in Porto Tolle: “Hotel Italia”. An der Hauptstraße gelegen. Modern. Zweckmäßig. Sehr netter Empfang. (45 Euro mit Frühstück.) Fahrrad in Garage abgestellt.
Regentag. Superwindtag. Böen, die mich fast vom Fahrrad warfen. Nur selten klarte es etwas auf. Nur einmal, als es ein bisschen trockener wurde, zückte ich mein Foto.
Ich fuhr durch Bauernland. Ohne das ich jeh einen Bauern zu sehen bekam. Die gehen bei Wind und Wetter wohl auch nicht raus.
Ob's hier europäische Subventionen gibt?
Völlig durchweicht gab ich nach 3 Stunden Druckwasserbespaßung auf und sucht mir in Bayeux ein Hotel.
Ich hatte Glück. Ich hatte dieses Städtchen im Reiseführer überlesen. Sehr sehr sehr schön. Mit einer der schönsten Kathedralen, die ich je besucht habe.
Alle Kraft zum Himmel hoch
Alle Kraft im Stein
Langsam werd’ ich zum Kirchgänger. Immerhin wird man dort nicht nass.
Klasse Ort. Mit vielen kleinen Bars, Weinprobierstuben und Restaurants. Ich bekam den Tag auch so rum – ohne Fahrradfahren.
Besuchte ein beeindruckendes Museum. 70 Meter gestickter Stoff – über tausend Jahre alt – erzählt in Leinen-Bildern die Geschichte der Eroberung Englands durch die Normannen. Weltkulturerbe.
Alle Kraft voraus
Feine Arbeit.
Alle Kraft zum Töten
Zum ersten Mal viele Touristen gesehen, Keine Binnenfranzosen, extrem viele US-Bürger. Verbinden wohl D-Day-Tourismus mit französischer Küche. Am Abend fiel mir auf, dass morgen mein hundertster Tag der Europa-Umrundung beginnen würde. HUNDERT TAGE!
Ich genehmigte mir ein feines Mal auf das Jubiläum.
(Und hatte keine Ahnung wie viel weitere hundert Tage noch folgen würden, bis ich diesen Kontinent umrundet haben würde.)
Jubel
Vorspeise: “L’assiette de coquillages et crevettes” (huitres, bulots, birgoneaux, crevettes) / (Meeresfrüchte) Hauptgericht: “Pavé de noix de veau campagnard et sauveurs d’automne aux bais rouges” (Rindersteak) Und als Nachspeise einen exzellenten normannischen Apfelkuchen mit Vanilleeis und Karamellcreme.
Unterkunft in Bayeux: “Hotel Reine Mathilde”. Gegenüber Kathedrale. Sehr hilfsbereiter Empfang. Sprach etwas Englisch. Hotel hatte Bar/Brasserie. Angenehm. (60 Euro ohne Frühstück.) Fahrrad in Garage untergestellt. Kostete 5 Euro extra.