Meer Europa

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Tag 321 (20.07.2019) / Norwegen: Steinkjer -> Trondheim (ETAPPENSCHLUSS)

Strecke: 135 km.  (08:30 – 18:30 Uhr.)

Angekommen

Einmalig schönes Trondheim! Ich radelte frohgestimmt ins Etappenende hinein. Schluss mit Etappe 10.

Nach 3.330 Kilometern in exakt 5 Wochen, von Helsinki über das Nordkap bis nach Trondheim, wird jetzt für die Rückreise gepackt.

Der Schlusssprint heute schmerzlos, die Strecke größtenteils flach.

Es fehlt nun nicht mehr viel, nur noch eine weitere Etappe (nächstes Jahr), und Europa ist geschafft!

Insgesamt (in 10 Etappen) nun rund 24.030 Kilometer abgefahren.

Tag 264 (16.04.2018) / Moldawien: Comrat -> Chisinau

Strecke: 100 km (09:00 – 16:30 Uhr)

Letzter Radl-Tag. Auch wenn mein Drahtesel krächzte, stöhnte, quietschte: Er hielt durch. So wie ich.

In Konkurrenz

Gagausien ließen wir gemeinsam hinter uns.

Die schlechten Straßen ebenso.

Sinfonie in Braungrün

Die Berge und Dörfer auch.

Mit blauen Einsprengseln

Wir schrubbten zusammen nochmal ganz schön was runter.
Achteten kaum noch auf Details.

Braun-blau-grün
Am Wegrand

Wir wollten beide nur heil in der Hauptstadt Chisinau ankommen. Es wurde uns gewährt: sogar schneller als gedacht.

Das Hotel, in dem wir uns einquartierten, kannten wir schon vom letzten Besuch (vor 1 1/2) Jahren.
Ankunft nach exakt 2.305 km.

Jetzt schloss sich der Kreis. Die letzte Lücke war geschlossen und die Südroute Europas damit auch geschafft.

Unterkunft: Weekend Boutique Hotel, zentrumsnah. Ruhepol in der sonst ziemlich hektischen Stadt. Sehr zuvorkommender Service. Sehr schöne Zimmer. Großes Bad. 38 Euro (ohne Frühstück).

Tag 248 (31.03.2018) / Griechenland: Soufli -> Swilengrad (Bulgarien)

Strecke: 105 km (09:30 – 17:30 Uhr)

Für den langen Weg, der vor mir lag, kam ich ein wenig spät aus der schönen Unterkunft in Soufli weg.

Prächtig

Ich hatte zwischenzeitlich eine Entscheidung getroffen:
Ich werde meine Etappe nicht mit einem Abstecher in die Türkei fortsetzen. Es wäre eigentlich der direkte Weg zur Schwarzmeerküste gewesen.
Zwei Gründe waren ausschlaggebend:
Erstens: Ich hätte bei der Einreise verschweigen müssen, dass ich Journalist bin. Mein Beruf ist aber ein ehrenwerter Beruf. Nur um mir Ärger mit einem totalitären Erdogan-Regime zu ersparen, wollte ich mich nicht verleugnen.
Zweitens: Genau an der Grenze, die ich auf griechischer Seite gerade entlang fahre, gibt es in den letzten Wochen heftige Spannungen zwischen den (NATO!)-Nachbarländern. Zwei griechische Soldaten, die anscheinend irrtümlich auf türkisches Gebiet geraten waren, wurden verhaftet. Ein deutsches TV-Team, das im Grenzgebiet unterwegs war, wurde von griechischen Sicherheitskräften kurzzeitig festgesetzt. Die Nervosität war spürbar, die griechischen Militär- und Grenzschutz-Patrouillen bereits gestern auf der Route deutlich sichtbar.
Letztendlich ist mir das Risiko, beim Grenzübertritt in Schwierigkeiten zu geraten, zu groß.

Ich fuhr also auf griechischer Seite entlang dem Fluss, der mächtig über die Ufer getreten war …

Fluss mit Untiefen

… und der alles in einem Riesensee verschluckte: Hütten, Felder, Straßen, Strommasten.

Fluss-See

Auf der Höhe des Dörfchens Lavara gesellte sich plötzlich ein Radfahrer zu mir.
Es stellte sich heraus, dass er ein deutscher Rentner war, der seit 10 Jahren hier am Evros seinen Ruhestand verbrachte.
Ich fragte ihn eine wenig aus und er antwortete bereitwillig.
Es sei eine Tragödie, was hier passiere – und Europa schaue leider weg. Immer wieder würden Flüchtlinge im Fluss ertrinken. Erst vor ein paar Wochen etwa 10 Menschen – in einer Nacht!
Der Fluss sei unberechenbar, entwickle starke Wirbel. Boote würden kentern. Nicht mal geübte Schwimmer könnten dem Sog entkommen.
Das Problem sei: Sowohl auf türkischer wie auf griechischer Seite würde viel Geld mit Menschenschmuggel verdient.
Auf Nachfrage betonte er: “Ja, auch auf griechischer Seite! Mein halbes Dorf lebt vom Schmuggel.”
Schon seit Jahrzehnten sei der Evros eine Schmugglergegend. Das Preisgefälle zwischen den Nachbarländern sei enorm, da rentiere es sich, illegal Waren aller Art aus der Türkei nach Griechenland zu schmuggeln. Auch Drogen. Und mittlerweile eben auch Menschen.
Der Rentner redete sich in Rage: Hier würden Menschen verrecken und die Deutschen zu Hause führten Gespensterdebatten über “Heimat”. Mit Zornesröte im Gesicht verabschiedete er sich und strampelte Richtung Berge weiter.

Ich begleitete noch eine Weile den Evros, bog dann (kurz vor dem türkischen Edirne) Richtung Bulgarien ab.

Leicht wellige Gegend, immer wieder mir eingesprengten kleinen Baumwollfeldern.

Zart

“Baum-Wolle”. Schönes deutsches Kombi-Wort. 

Zottelig

Nach 1.250 Kilometern (in knapp 3 Wochen) ging nun die Griechenlandreise zu Ende.

Bulgarien lag vor mir. Die Passformalitäten an der Grenze (kein Schengenraum!) waren schnell erledigt, Swilengrad, das erste bulgarische Städtchen, über eine Stein-Brücke aus dem 16.Jahrhundert schnell erreicht.

Historisch

Dutzende Spiel-Casinos und Hotels prägten die kleine Innenstadt, die gesichtlsos, etwas kalt und noch ziemlich gestrig wirkte.

Unterkunft: Hotel George. Stadtzentrum. Hatte viel ex-sozialistischen Charme. Die Verständigung war reichlich schwierig, klappte aber. 29 Euro (mit Frühstück).

Tag 197 (23.04.2017) / Frankreich: Marseille -> Cassis

Strecke: 31 km (10:45 – 13:15 Uhr)

Am Morgen konnte ich einem Marseiller Café ein wenig den Gesprächen folgen. Überwiegend von Franzosen maghrebinischer Herkunft besucht. Fast alle Satzfetzen, die ich verstand, handelten von der heutigen ersten Runde der Präsidentschaftswahl. Die meisten Diskutanten wollten überhaupt nicht zur Wahl. Einige wenige sprachen sich laut für Macron aus.


Ich hatte einen Außenplatz. Eine junge Frau gesellte sich zu mir, fragte, ob es mich stören würde, wenn sie rauchte. Ohne die Antwort abzuwarten, zündete sie den Stengel an. Auch sie eine Französin mit maghrebinischem Migrationshintergrund (wie sich das schon anhört – mit fällt aber nicht ein, wie sich das politisch korrekt etwas schöner formulieren lässt.) Ich fragte sie (gebrochenes Französisch), für wen sie stimmen würde. Sie schüttelte den Kopf und bedeutete, dass sie nicht zur Wahl ginge. Dann wollte sie von mir wissen, ob ich Le Pen “lieben” würde?
Sie verstand meine Entgeisterung nicht wirklich.
Und ich verstand, dass ich mich in Le Pen Country bewegte. Hier im Süden hatte die rechtsextreme Dame verdammt viele Anhänger.

Ich war gespannt, wie am Abend das Ergebnis ausfallen würde. Ob Europa gesprengt oder als Friedens- und Demokratieversprechen weiter entwickelt werden konnte.

Ich hatte beschlossen, mehr oder weniger einen Ruhetag einzulegen. Meine Kraft ließ merklich nach und ich verzichtete darauf, die spektakulären Fjorde des Calenques-Nationalparks abzuradeln. Es hätte mich heute überfordert.

Hohlgasse

Stattdessen fuhr ich direkt nach Cassis, rund 30 Kilometer östlich von Marseille gelegen und gemütlich zu erreichen. In Cassis begann die Côte D’Azur.

Klassisch

Obwohl überlaufen,

Immer noch klassisch

hatte sich das einstige Fischerdorf seinen alten Charme bewahrt.

Farbenmut

Sogar einige ruhige Gassen luden zum Innehalten ein.

Straßenruh

Ich quartierte mich ein und ließ es mir gut gehen.

Um 20 Uhr dann die ersten Hochrechnungen der Präsidentschaftswahl auf dem Handy verfolgt. Vor Ärger über das Le Pen Ergebnis richtete ich eine kleine Katastrophe an. Schüttete aus Versehen ein ganzes Glas Rotwein über den Tisch. Das französische Publikum im Restaurant schien wenig interessiert. An mir und an der Politik.

Unterkunft: Hotel “Laurence”. Schon etwas bejahrt. Zuvorkommender Service. 55 Euro (ohne Frühstück). Fahrrad Foyer abgestellt.

Tag 158 (28.09.2016) / Ukraine: Czernowitz -> Putna (Rumänien)

Strecke: 101 km  (09:00 – 18:15)

Abschied von der Ukraine.
Gerne dagewesen.
Moderne Stadtmenschen.
Land hintendran. Aber nicht so krass wie ich es erwartet hatte.

Herbstgelbstichig

Die letzten Kilometer nochmal das ukrainische Auf und Ab. Ich musste meine Fahrrad-Muldentechnik anwenden. Rasend (sofern nicht zuviele Schlaglöcher) runter – mit Schwung rauf (und die letzten Meter im 1. Gang ächzend).

Silbriggrau

Die Grenze sehr schnell passiert. Habe zwar überhaupt nicht den Formularkampf auf der ukrainische Seite verstanden. Stempel hier und da, Papier in den Pass und wieder raus. Lief aber flott. Höfliche Beamte.
Auf der rumänische Seite (EU Außengrenze!) war es mit meinem Pass ein Kinderspiel. (Welch Privileg einen EU-Pass zu besitzen!)
Siret, Grenzfluss.

Schimmligblau

Das gleichnamige Örtchen empfing mich mit einem Friedhof. (Künstliche) Blumenpracht.

Tödlichblau
Herbstorangestichig

Das ganze Dorf rumänisch-europäisch beflaggt.

Sternenklar

Obwohl ich gerne in der Ukraine gewesen war, überfiel mich hier in der rumänischen Pampa das eigenartige Gefühl Zuhause zu sein.
Ich war im freien Verein EUROPÄISCHE UNION.
Ich sah all die Bauern, Schüler, unaufgeregten Fußgänger im Dörfchen als meine Nachbarn. Bürger der EU wie ich.
(Hoffentlich macht niemand diese EU politisch kaputt.)

Mein Tagesziel war eines der berühmtesten Moldau-Klöster: Putna. Noch etwa 40 Kilometer vom Grenzübergang entfernt.
Ich wählte zunächst die kürzeste Route, geriet aber sehr schnell auf fast unbefahrbares Gelände. Schotterpiste pur. Rumänisches Landleben pur. Pferdegespanne rappelten an mir vorbei.

Wunderbar

Ich fing an, drauflos zu schießen (fotografisch), bis ich mich mit Mühe selbst zügeln konnte.


Ich fragte mich, was mich an solchen Motiven eigentlich interessiert? Was drückten sie aus?
Idylle? Natürlich nicht: Das war harte Arbeit.
Blick in die vorindustrielle Zeit – wie mit einer Zeitmaschine? Vielleicht.
Einheit von Natur und Mensch? Quatsch.
Ich Wohlstandsbürger möchte (und könnte) nie so schuften wie diese Bauernfamilien.
Es gab nur eine Erklärung, die mir für mein Interesse an diesen Motiven einfiel.
Diese Menschen waren unverstellt. Keine Pose, kein Hecheln nach “Likes”. Sie waren die lebendige Tautologie: Sein wie sie sind. Nicht scheinen.
Ob sie glücklicher sind?
Glaube nicht.

Überlänge

Ich verließ die Schotterpiste wieder, wählte die schnelle Landstraße und kämpfte mit rücksichtslosen Lastwagenfahrern.

Gespanne auf der Straße wären mir lieber gewesen: but not allowed!

Kam aber heil in Putna an.

Unterkunft in Putna: “Cabana Putna Dorina”. Im Dorfzentrum. 10 Minuten Fußweg vom berühmten Kloster Putna entfernt. Auf viele Busgäste eingestellt. Großes Restaurant. Ich aber war allein an diesem Abend. Schön geräumige Zimmer. Für rumänische Verhältnisse ziemlich überteuert. (50 Euro ohne Frühstück). Fahrrad in leerem Gastraum untergebracht.

Tag 153 (23.09.2016) / Polen: Zamość -> Львів (Lwiw / Lemberg) (Ukraine)

Strecke: 129 km  (08:30 – 18:30)

Früh aufgestanden, früh überrascht. Ein Wahnsinnsfrühstück. (Auf dem Bild fehlen noch die Spiegeleier). Eigentlich für einen Mammut. Ich bereitete mir immerhin noch zwei belegte Semmel für die Reise.

Riesig

Der Wirt (der exzellent Deutsch sprach) sagte mir, dass es noch ein paar Berge bis zur ukrainischen Grenze geben würde, danach aber die Strecke bis kurz vor Lwiw flach sei.

Ich nahm ihm beim Wort.

Die ersten 60 Kilometer verabschiedete ich mich von Ostpolen. Ich war gerne hier gewesen. Auch wenn die Sprachbarriere fast überall einfach zu hoch war, um ein substantielles Gespräch zu führen. Ich spürte die Aufgeschlossenheit und auch Fortschrittlichkeit vor allem in vielen jungen Gesichtern. Selbst hier auf dem flachen Land. (Gemeinhin wird dieser Landstrich in den Medien eher katholisch konservativ bis politisch reaktionär eingeschätzt.)

Hinführend

Um die Mittagszeit die polnisch-ukrainische Grenze erreicht. Ich war drauf und dran die Europäische Union zu verlassen.
Es war schwieriger als gedacht.
Zuerst bockten die polnischen Behörden. Mit einem Fahrradfahrer konnten sie an dieser Grenze nichts anfangen. Dann winkten sie mich doch weiter.

Ich fuhr an einer kilometerlangen Autoschlange vorbei. Mogelte mich vor an einen ukrainischen Zollposten.
Dann war Schluss. Der Offizier wollte mich partout nicht ins Land reinlassen. Das Einzige was er auf Englisch rausbrachte war: No! Und: No bicycle! Ich sollte nach Polen zurück.
(Offenbar war das ein Grenzübergang ausschließlich für Autos, Lastwagen und Motorräder.)

Ich ließ mich nicht abwimmeln, verlangte den Boss und hielt die Schlange hinter mir höllisch auf.

To make a long story short: Auf einmal näherte sich ein Ukrainer, sagte mir, ich solle das Fahrrad in seinen Kleinlaster heben. Als ich das auch noch fotografierte, bekam der ukrainische Offizier einen roten Wutkopf. Drohte mir mit Gefängnis. Hier (das verstand ich durch seine Gesten) sei Fotografieren streng verboten.

Zielführend

Mein Schleuser packte mich und schubste mich in sein Fahrzeug.
Dann ging es weiter zur nächsten Zollstation. Passangelegenheiten.
Mein neuer Freund erledigte alles für mich.
Und wir fuhren fröhlich in die Ukraine.

Unterwegs tippte er immer ein paar Fragen an mich in sein Handy, das mir sein Ukrainisch ins Englische übersetzte.
Ich antwortet ihm auf gleichem Wege (Wo ich herkam, Warum ich hierher kam, Wie alt ich bin, Ob ich Kinder habe, Ob ich ukrainisches Essen mag).

Im ersten Dorf hinter der Grenze hielt er an, half mir das Fahrrad runter zu laden und verabschiedete sich herzlich.

Welch eine Gastfreundschaft zu Beginn meines Ukraine-Trips.
Ich war gerührt.

70 Kilometer lagen noch vor mir.
Und schon auf den ersten Kilometern fing ich Feuer für mein neues Gastland.
Holzkirchen ….

Einführend
Türmelig

… ein pittoreskes Dörfchen

Noch trocken über dem Brunnen

… Straßenhändler.

Geflochten

… und Gänsescharen, die die Wege querten, Pferde, die auf den Felder den Pflug zogen, Pferdekutschen auf den Straßen, alte Mütterchen mit bunten Kopftüchern, die Kartoffeln und Kohl feilboten … teilweise hatte ich das Gefühl in eine vorindustrielle Zeit gereist zu sein.

Ich hielt aber nicht mehr an, nicht einmal um zu fotografieren. Ich wollte unter allen Umständen vor Einbruch der Dunkelheit nach Lwiw kommen, die ehemalige habsburgische Stadt Lemberg.

Ich schaffte es gerade so.

Schnell ein Bier auf meinem Balkon …

Wild erschöpft

… noch schneller geduscht und ab in die Altstadt.
Irre!
An jeder Ecke Live-Musik.

Eine Stadt, die mich durch ihr nächtliches Überangebot völlig überforderte.

Unterkunft in Lwiw: “Hotel Plazma”. Mitten in der Altstadt. Im vierten Stock eines alten Bürgerhauses. Ohne Aufzug. Musste Gepäck und Fahrrad die Treppen hochstemmen. Aber wunderschönes Zimmer mit kleinem Balkon. Blick auf historische Altstadt. Rezeption sachlich. (34 Euro mit Frühstück). Fahrrad in einer Kammer untergebracht.

Tag 144 (14.09.2016) / Litauen: Kaunas -> Suwałki (Polen)

Strecke: 119 km (11:00 – 19:00)

Es wurde ein Speed-Day. Sehr spät gestartet. Eigentlich wollte ich noch einen Tag in Kaunas dranhängen. Die Stadt gefielt mir außerordentlich gut. Aber das Hotel war ausgebucht. Ich wartete bis 11 Uhr und dann resignierte ich. Niemand cancelte seine Reservierung. Hatte keine Lust, umzuziehen.
Also auf den Sattel und los.

Ich wusste, es lagen fast 120 Kilometer vor mir.

Ich gab Gas.

Hielt einmal kurz an, um eine wunderschöne Holzkirche zu fotografieren.

Geschmackvoll

Lange konnte ich die Autobahn nach Polen meiden, fuhr fast leere Landstraßen.
Dann aber doch. Musste auf die Via Baltica. Schlimmer als der frühere Autoput in Jugoslawien. Ein Lastwagen nach dem anderen donnerte in Zentimeter-Abständen an mir vorbei. Manchmal gab es Seitenstreifen, auf denen ich einigermassen sicher fahren konnte, manchmal verschwand er einfach. Und nicht selten hatte ich Angst.
Es gab aber keinen anderen Weg. Und zumindest auf dieser Strecke ist es Fahrradfahrern erlaubt, die Autobahn zu nutzen.

Nur einmal machte ich noch Halt. In Marijampole, dem letzten größeren litauischen Städtchen vor Polen.

Der Zentrale Platz hatte immer noch den Charme eines sozialistischen Aufmarschgebietes.

Trotzdem die Stadtverwaltung sich sichtlich Mühe gegeben hatte, den Ort einigermassen wohnlich aussehen zu lassen.

Weiter auf dem litauischen Autoput.
Hart!

Die Grenze gegen 17:30 Uhr erreicht. Verlassene, überflüssige Grenzstationen. Ich war in Europa! Schengenraum!
Offene Grenzen. Wie genoss ich das.

Nach rund 1260 Kilometern in zwei Wochen verließ ich das Baltikum. Estland, Lettland, Litauen: Unterschiede können von Spezialisten sicher ausgemacht werden.
Für mich waren es 3 liebenswerte Länder, die erkennbar europäisch ausgerichtet sind. I love it.

Jetzt Polen.

Polen kompakt

Bin gespannt, was mich erwartet, jenseits der erwartbaren Marienverehrung an fast jedem Bäumchen.

She loves you, yeah yeah yeah

Unterkunft in Suwalki: “Hotel Loft 1898. 1 km von der kleinen Altstadt entfernt. Modern. Riesig. Gut. Und günstig. Sehr zuvorkommender Empfang. (39 Euro mit Frühstück.) Fahrrad vor Hotel angekettet.

Tag 142 (12.09.2016) / Litauen: Silute -> Jurbarkas

Strecke: 107 km (09:30 – 17:30)

Silute leichten Herzens verlassen. Kein Ort, an dem man länger verweilen muss.
Die Landstraße nach Süden fast menschenleer.

Morgenmilchig

Ab und zu ein paar Siedlungen.

Mittensichtig

Zwischen zwei Strommasten glaubte ich entfernt eine Kirche auszumachen – mit merkwürdiger Turmspitze und einem Kreuz.
Bei näherer Sicht und ohne diesiges Gegenlicht entpuppte sie sich als ein profaner Wasserturm.

Ansichtig

Je weiter weg von den Ostseestränden, je ländlicher und (noch) beschaulicher wurde Litauen.

Landeinwärts

Ich bewegte mich im Grenzgebiet zu Russland. Kaliningrad war eine Tagesreise entfernt. Das Gebiet der russischen Exklave (Oblast Kaliningrad) aber kaum einen Steinwurf.

Urplötzlich konnte ich ihn auch sehn: den Grenzfluss Nemunas. Drüben Russland – hüben Litauen.

Fliessende Grenze

Memel heißt der Fluss auf Deutsch. Wie überhaupt: Mein (alternativer) Reiseführer zeigte mir nicht selten die litauischen Orte, die ich durchfuhr, unter alten deutschen Namen an: Goldingen, Heidekrug, Katharinental, Memel.

Ich reiste auf einer geschichtlichen Grenzlinie. Diese Region wurde von Deutschen kolonisiert, später zerstört, dann durch den realen Sozialismus verödet und hat nun endlich zu sich selbst gefunden. Für Litauer, Letten und Estländer ist Europa immer noch ein Freiheits- und Wohlstands-Versprechen. Ich reise – so ist mein Gefühl – nicht durch ein europäisches Randgebiet, sondern durch das Herz Europas.

(Und nun gibt es ausgerechnet in einigen osteuropäischen Ländern politische Führer, die das Europa der offenen Grenzen zerstören wollen. Oder in Deutschland eine neue Partei, die den Begriff „völkisch“ wieder hoffähig machen möchte und damit eine Ideologie, die Europa einst verwüstet hat. Bleibt eigentlich nur, sich noch lauter öffentlich zu wehren.)

Ich verließ den Fluss für einige Stunden und folgte der Landstraße 141.

Immer wieder verwandelte sie sich in eine Allee.

Hohle Baumgasse

Zum ersten Mal tauchten auch Wegkreuze und Marienstatuen auf. (Ob das daran lag, das das katholische Polen nicht mehr sehr weit entfernt war?)

Betende
Andächtig

Kurz vor Jurbakas wieder das Nordufer des Nemunas gestreift. Ein herrlicher Spätsommertag lockte.

Flussstrand

Die Kleinstadt Jurbarkas schnörkellos häßlich. Immerhin hatte sie ein Hotel.

Wie soll man diese Architektur-Richtung nennen? Spätsozialistisch?

Nichts war hier liebevoll…schon deutlich heruntergekommen die Zimmer.

Wo realsozialistische Architekten ihr Handwerk gelernt haben?

Allerdings mit einem atemberaubenden Blick auf den Fluss.

Genossen-Blick

Im letzten Sonnenlicht am Nemunas entlang spaziert. Kein Eck, keine Biegung, in denen nicht Hobbyangler saßen und sich ihr Spätabendbrot noch mit einem guten Filet belegen wollten.

Fisherman's Bauch
In sich ruhend
Da darf keine Welle kommen

Als es bereits heftig dunkelte, sammelten sich auf einem Parkplatz in der Nähe des Flusses einige getunte Karren. Junge Burschen protzten ausnahmslos mit VWs, schwarz lackiert, die hinteren Fensterscheiben abgedunkelt. Plötzlich begannen sie gegeneinander Rennen zu fahren. Mit quietschenden Reifen über das asphaltierte Nemuda-Ufer. Es wurde mir mit der Zeit zu blöde und ich ging – den Blick genießen von meinem Hotelzimmer, den Blick auf einen ungemein schönen Fluss im Dämmerlicht.

Unterkunft in Jurbarkas: “Hotel Jurbarkas”. An der Hauptstraße. Sozialistischer Betonbau. Hotel erst nicht gefunden. Hat keinen eigenen Eingang. Liegt im 5. und 6. Stock. Uralt-Fahrstuhl. Ratterte, aber funktionierte. Rezeptzionistin sprach drei Brocken Deutsch. Halft mir das Gepäck hochzubringen. Herzliche Person. Hotel hat Chancen, den Preis des nie vergehenden Sozialismus zu gewinnen. (30 Euro ohne Frühstück.) Fahrrad in einer Abstellkammer im Erdgeschoss untergebracht.

Tag 105 (12.11.2015) / Belgien: Dunkerque (Dünkirchen) (F) -> Oostende (B)

Strecke: 52 km (09:15 – 14:00)

Geschafft! Letzter Tag!

Ich ließ es ausrollen. Verabschiedete mich von Dunkerque.
Trödelte mich aus der Stadt hinaus.

Wie schon die ganze normannische Küste fuhr ich auch hier ständig an Weltkriegsstätten vorbei.

Viele Soldatenfriedhöfe. Französische, alliierte.

Ist der Tod nicht immer anonym?

An einem Grab sah ich eine beschriebene Schiefertafel. Mit einer bewegenden Widmung für einen 1940 umgekommenen französischen Soldaten.

Rührend

“73 Jahre nach deinem Tod konnte sich jetzt endlich” – hatte ein Angehöriger gekritzelt – “deine Braut wieder mit dir vereinigen.” Im Himmel. Da hat jemand lange erinnert und geliebt.

Kaum einen Kilometer weiter wieder Kreuze. Diesmal aus dem 1. Weltkrieg.
Die Normandie war über Jahrhunderte Schlachtfeld.

R.I.P.

Um halb zwölf die französisch/belgische Grenze erreicht. Überall Polizei. Eine Gruppe junger Flüchtlinge hatte wohl versucht, sich nach Belgien durchzuschlagen. Polizisten in voller Montur umringten bedrohlich stehend die gleichmütig am Boden Kauernden.

Europas Grenzen sind nicht mehr offen.

Um 14 Uhr Oostende erreicht, das mich mit Sonne begrüßte.

Sunny afternoon

Etappe 3 vorbei! Geschafft! Den französischen Atlantik bezwungen. 5 Wochen hat er mich über 2.600 Kilometer lang herausgefordert. Ich bin müde. Ich will nach Hause.

Unterkunft in Oostende: “Hotel Princess”. Zentrum. Hinter Strandpromenade. Professionell. (50 Euro mit Frühstück.) Fahrrad in Garage abgestellt.

Tag 104 (11.11.2015) / Frankreich: Boulogne-sur-Mer -> Dunkerque (Dünkirchen)

Strecke: 88 km (09:15 – 16:45)

Heute glich gestern. Der Tag in grau gebadet. Mit Sonne wäre ich aber auch nicht weit gekommen. Ich durchfuhr eine fantastische Dünenlandschaft. Bei schöner Sicht hätte ich viele Stopps gemacht. Manche der Sandberge forderten mir alles ab. Manchmal winden sich die Straße in engen Serpentinen hinauf.

Wild

Unterwegs kleine, saubere und unspektakuläre Dörfer.

Zahm

Warum diese Herren marschierten, hab ich nicht erfragt.
Veteranen und Söhne von Veteranen ?

Calais. Eine kriegszerstörte Stadt und danach kein architektonisches Kleinod mehr geworden.

Ruhig

Hinter Calais, in den Dünen, tauchte plötzlich ein großes Flüchtlingscamp auf. Davor zwei französische TV-Teams und viel Polizei. Ich überlegte kurz, ob ich anhalten und ein paar Fotos machen sollte. Es sah gespenstisch aus: das übervolle Lager, Zelt das sich an Zelt duckte und die herumlungernden Gruppen junger arabischer und afrikanischer Männer. Ich entschied mich dagegen. Was hätte ich zeigen können, was nicht schon gezeigt war? Was hätte ich erfragen können, was nicht bereits gefragt wurde?

Ich wollte keinen Flüchtlingstourismus betreiben und fuhr weiter.
Manche der Männer schauten meinem beladenen Fahrrad und mir interessiert nach. Mir, der ich auf meiner Wohlstandstour durch Europa keine Probleme habe Grenzen zu passieren. Eine Freiheit, die ihnen verwehrt ist.

Endlich Dünkirchen erreicht: die nördlichste Hafenstadt Frankreichs. Meine Tour de France kam langsam zu Ende. 1 Tag noch!

Unterkunft in Dunkerque: “Hotel Welcome”. Zentrum. Hotelblock. In die Jahre gekommen. Aber okay. Höflicher Empfang. (52,50 Euro ohne Frühstück.) Fahrrad in Garage abgestellt.