Dazu 3 Fähren mit ca. 44 Kilometern. (07:15- 00:30 Uhr)
Fährentag. Kurz nach 7 Uhr in Ornes auf das Schiff, das mich (und zahlreiche Autos) nach Vassdalsvik brachte.
Ein Schiff wird kommen
An Bord wollte ich schnell einen Kaffee trinken. Aber der Automat akzeptierte keine Visa-Karte. Nur Münzen. Zum ersten Mal überhaupt, seit ich in Norwegen unterwegs war, wurde Cash verlangt. Hatte natürlich kein Kleingeld. Also kein Aufwachkaffee.
32 Kilometer geradelt, schon wartete die nächste Auto-Fähre. Ein Haifisch-Monstrum. Irrsinnig – wie viel Geld Norwegen in die Brücken- und Fähren-Infrastruktur steckt. Aber anders ist dieses Insel-, Halbinsel-, Berg-Land nicht zu erschließen.
Wo hat der Haifisch seine Zähne?
Die Sonne kämpfte über der Wolkenschicht, um mich Norwegenfahrer zu grüßen und auch ein bisschen aufzuwärmen. Bekam aber kein Licht-Strählchen durch die grauweiße Totalblockade. Ich fror.
Erst heute fiel mir auf, dass das Meer in Norwegen nicht rauschte. Die Fjorde seenhaft ruhig.
Kann man Stille hören?
Alles, was ich hörte, war das summende Rollen meiner inzwischen völlig abgefahrenen Fahrradreifen.
Gibt es für jede Farbe einen Code? Wie unromantisch
Bizarre Spiegelungen an den Fjordenden. Ich hatte das Gefühl jeden einzelnen Fjord Norwegens auszufahren.
Gibt es für jede Stimmung ein Wort?
Schon bald wartete die dritte Fähre. Von Jektvik nach Kilboghamn. Sie fuhr lang.
Wieso wird Dampf zum lauten Ton?
Und kreuzte genau hier, an diesem grau-grünen Berglein den nördlichen Polarkreis.
Eine Weltkugel am fernen Ufer zeigte den genauen Punkt an.
Das halbe Schiff stapfte auf Deck, um sie (den weit weit entfernten “Punkt” auf der gegenüberliegenden Küstenwiese) zu fotografieren.
Dann noch mal 90 Kilometer bis nach Nesna. Ich hatte auf dem dortigen Campingplatz angerufen und gefragt, ob es noch ein Zimmer oder eine Hütte gäbe. Treffer. Das Problem: Die Rezeption schloss bereits um 19 Uhr, ich aber war noch 60 Kilometer entfernt und es war bereits 18:30 Uhr. Der Rezeptionist war supernett. Sagte, er würde die Tür zu dem Zimmer offen lassen und den Schlüssel aufs Bett legen. Ich solle mir keine Sorgen machen. Machte ich mir nicht.
Und (ich wiederhole mich) wieder hatte der Tag die höchste Schwierigkeit bis zum Schluss aufgehoben. Es ging steil auf rund 350 Meter hoch. Die meiste Zeit (1 Stunde) schob ich. Hatte keine Kraft mehr.
Auf dem Pass Stille Stille Stille. Kein Zikadenlärm (gibt’s hier gar nicht), kein Fledermausgefiepe (gibt’s hier gar nicht?), kein Eulenflügelschlag. Nichts. Stille. Die Sonne war untergegangen. Endlich wieder so etwas wie Nacht, auch wenn der Horizont feurig glühte.
Wieso ist die Welt so schön?
Unter mir lag Nesna
Ich musste nur noch rollen lassen.
Keine Fragen mehr
Und kam nach 150 Kilometer Strampeln eine habe Stunde nach Mitternacht an. Grandios erschöpft.
Kurzer Aufwachblick aus dem Fenster: Der Fjord war noch da.
Schönes Aufwachen
Nach dem Frühstück ging ich zur Küche. Ich wollte mich vom Koch verabschieden, mit dem ich mich gestern bis spät in die Nacht verquasselt hatte, und mich für seine Gastfreundschaft bedanken. Er kam mir zuvor, drückte mir lange die Hand und sagte, ich hätte ihm gestern viel positive Energie gegeben. Es sei an ihm zu danken.
Ich war perplex und fuhr demütig in den neuen Tag hinein.
Er begann mit Zauberbildern.
Verweile!
Ich jagte die noch fast autofreie Straße runter zum Fjord.
Zieh weiter!
Querte danach Täler, Brücken …
Hüpf rüber!
… übte den Vogelblick,
Bleib doch!
… erreichte gegen Mittag die (unansehnliche) Stadt Narvik. Orientierte mich.
Stärkte mich mit einem Beef-Wrap und einem kühlen Blonden.
Und hoppte bald per Brückenhub auf die nächste Halb-Insel.
Auch hier zeigte mir die Vogelperspektive, welch irrsinnig schöne, zerklüftete Welten die Eiszeitgletscher auf ihrem Rückzug nach Norden hinterlassen hatten. Wahre Erdkünstler.
Wie oft hab' ich schon 'Traumland' geschrieben?
Plötzlich tauchten am Wegrand drei junge Wanderinnen auf.
Darauf muss man erstmal kommen
Ich hatte auf meiner Skandinavien-Umrundung schon ziemlich viel gesehen:
Einen Italiener mit roten Rastalocken, der mit dem Rennrad von Rom ans Nordkapp unterwegs war. (Er behauptete, jeden Tag 200 Kilometer zu fahren. Er hatte fast kein Gepäck dabei und schlief meist im Wald. Mir war rätselhaft, von was er sich ernährte, woher er das Trinkwasser besorgte.)
Ein Paar, das auf Tretrollern über die Straßen huschte, das schwere Gepäck auf den Rücken geschnallt.
Eine Ehepaar, das mit überdachten Fahrrad-Anhängern ihre beiden laut jammernden Bälge durch die Landschaft nach Norden zog.
Aber drei junge Frauen mit Lastenhund?
Wir grüßten uns fröhlich. Hallo, woher kommst Du, wohin geht Ihr? Der aufrichtig freundliche und froh stimmende Wanderer-Small Talk. Und tschüss. Ich wünsch Dir viel Glück. Passt auf Euch auf.
Ich musste wenig später Berge überwinden, um an mein Ziel zu kommen.
Ist das norwegisches Biedermeier?
Kurz vor 9 erreichte ich schließlich den Fährhafen Skarberget. Dort endete die Hauptstraße (E6) Richtung Süden. Autos mussten über das Meer geschafft werden (so spät waren nur noch wenige unterwegs). Fußgänger und Fahrradfahrer (ich war der einzige) durften umsonst die halbstündige Überfahrt genießen.
Am Horizont glitzerte, wie eine mattkühl angestrahlte Wand, die Traumlandschaft der Lofoten. Auf dieser Reise würde ich sie nicht näher sehen.
Kurz vor 22 Uhr kam ich an dem mittags bereits vorgebuchten Hotel an. Das Restaurant war schon lange geschlossen, die Bar aber noch offen.
Fähren kommt man aber auch als Fahrradfahrer nicht voran. Mir war nicht bewusst gewesen, dass Norwegen ein Inselreich ist.
Eine Küstenstraße, die von Nord nach Süd führt, existierte praktisch nicht. Ständig hoppt man von einem Eiland zum nächsten und wieder aufs Festland zurück.
Am Ende wusste ich überhaupt nicht mehr, wo genau ich mich gerade befand. Grundrichtung jedenfalls “southbound”!
Und im Norden gab jetzt der Sommer sein Gastspiel. Zweiter strahlender Sonnentage in Folge!
Weiß ist doch eine Farbe
Um jede Ecke das norwegische Foto-Grundmotiv: rote Fischerhütte vor blauem Meer.
Sogar kleine Sandstrände. Sie malten mit Hilfe der (schwachen) Sonne das Motiv karibisch aus.
Beruhigend
Nur selten verliefen die Straßen gerade, ebenerdig. Meist war es ein wüstes Gekurve, samt Auf- und Abgestrampel.
I like it
Die Berge im Hintergrund lassen es ahnen.
Die Dörfer, die ich auf Fjordhöhe passierte: natürlich Fischerdörfer. Es schien, als habe jedes Haus seinen eigenen kleinen Hafen.
Zugleich Straßen- und Meerdorf
Gegen 15 Uhr legte ich zur zweitgrößten Insel Norwegens ab – Senja.
Wer bringt hier eigentlich den Rum vorbei?
Sie hat wohl die schönsten und coolsten Sandstrände der Gegend. Davon sah ich aber wenig. Sie befanden sich auf der Westseite, am offenen Meer. Ich aber fuhr die Ostseite ab. Diese war schön, aber nicht aufregend. Ich hatte gut zu arbeiten, um die Tagesstrecke zu packen.
Ziemlich genau um 20 Uhr erreichte ich wieder (diesmal über eine Brücke) bei Finnsnes das Festland. Ich hatte einige Stunden zuvor über ein Buchungsportal ein Hotelzimmer reserviert. Wie so häufig ein Gasthaus ohne Rezeption, ohne Personal. Über einen Code, der einem per sms zugeschickt wird, bekommt man Zugang.
Ein Sesam-Öffne-Dich-Code schließt dir auch deine Zimmertür auf. Du bist für Dich – aber will ich das?
Strecke: 8 km vom Campingplatz Nordkap nach Honningsvag (04:45 – 05:15 Uhr)
Dann: Hurtigruten-Schiff nach Tromsø (05:45 – 23:00 Uhr)
Es war klar, dass es mit meinem Fahrrad so nicht mehr weiterging. Im nahe gelegenen Küstenort Honningsvag gab es keine Fahrrad-Werkstatt. Auf Nachfrage versicherten mir Einheimische, dass man eine komplizierte Reparatur nur in einer der Großstädte Norwegens machen lassen könne. Also entschloss ich mich, mit der Fähre (Hurtigruten) nach Tromsø zu fahren.
Morgens um halb 6 stand ich am kleinen Hafen, staunte über den ersten Sonnentag seit langem, sah wie das Schiff elegant am langgezogenen Kai anlegte. Ich schob meinen Drahtesel aufs (kaum belegte) Autodeck, ging zur Rezeption, kaufte mir ein Ticket, zahlte (wie schon die ganze Reise) bargeldlos, bekam einen Bordausweis und los ging’s. Völlig problemlos.
Welche Pracht, welcher Stolz!
Die Fahrkarte kostete (inklusive Fahrradtransport) rund 105 Euro. Für eine 18stündige Fahrt durch die Inselwelt im äußersten Norden Norwegens eklatant preisgünstig.
Steinerne Gäste
Und was für eine Inselwelt. Alpines Meer! Hat all diese steilen Gipfel schon mal jemand bestiegen? Mir raubte es den Atem, so weltursprünglich schön.
Bergherde
Und ich hatte den Beginn der Welt fast nur für mich. Zwei drei Gesellen waren noch auf dem vorderen Deck. Sie störten nicht.
Freiluft-Sonnebank
Natürlich war ich tags zuvor enttäuscht, dass ich die Fahrt nach Tromsø (etwa 400 Kilometer übers Land) nicht mit meinem Fahrrad antreten konnte. Aber es war zu riskant – ohne zuverlässig funktionierende Bremsen, mit kaputtem Schaltgetriebe und und und.
Ich hakte rasch den Ärger ab, betrachtete das Privileg der Schiffsreise jetzt als Geschenk für das “Erklimmen” des Nordkaps und genoss die Reise.
4, 5 Häfen steuerte das Hurtigrutenschiff unterwegs an. Die meisten klein, wie Havoysund auf der Insel Havoya. Kaum mehr als 1.000 Bewohner.
Leuchten die Fassadenfarben auch nachts?
Unterwegs kreuzte mein Kahn ein ehemaliges Postschiff und heutige Touristenattraktion. Ziemlich alt, denkmalgeschützt, und immer noch schnell unterwegs.
Mit nem Postschifffahrtskapitän
Nächste Anlegestelle: Hammerfest auf der Insel Kvaloy. Eine – um es nett auszudrücken – moderne Stadt. Heimelig jedenfalls ist sie nicht. Wie auch: Im Zeiten Weltkrieg wurde sie von den Deutschen vollständig zerstört (Prinzip “Verbrannte Erde”).
Aufgebaut
Blick- und Anziehungspunkt ist der Hafen. Mein Schiff legte eine “Mittagspause” ein – 2 Stunden Freigang.
Platz für alle
Und erst jetzt sah ich, dass ich keineswegs allein unterwegs war. Geschätzt zweihundert Reisende drängelten aus dem Bauch des Schiffs, schlängelten sich zu einem Kai und sahen einer für sie vorbereiteten “Zirkusvorstellung” zu: Die Fütterung eines weißen Wals. Der wollte zwar nicht so richtig. Und trotzdem schwoll das Entzücken, das Ahhh, Ohhhh und Handy-Klickkkk , mit jeder Minute an. War das der weiße Wal, der angeblich aus einer russischen Spionage-Zucht-Werkstatt entkommen war? (So eine Nachricht haben jedenfalls vor etwa einem Monat Zeitungen verbreitet.)
Showbizz
Kaum war mein Schiff erneut auf dem Nordmeer unterwegs, wirkte es wieder wie leergefegt. Eigentlich war es ein Linienschiff, das täglich die norwegische Küste Richtung Süden abfuhr, Menschen und Waren transportierte, Inseln mit dem Nötigsten versorgte. Uneigentlich war es längst eine Touristen-Attraktion, ein Kreuzfahrtschiff (das nur nicht so hieß) mit allen Bequemlichkeiten und einer Hundertschaft an Kabinen. Dorthin waren offensichtlich all die Passagiere wieder verschwunden. Oder sie klumpten sich in den Clubs, Restaurants und Cafés. All die Orte, die ich nicht aufsuchte.
Laufsteg
Ich blieb auf meinem Vorderdeck (räkelte mich in einem bequemen Sommerstuhl, ging höchstens mal zu einer Bar, um mir ein Bier zu holen) und staunte über das, was ich sah.
Schillernde Küstenorte.
Reifen-Installation von einem unbekannten Künstler
Weites kaltes Glitzermeer. Insel nach Insel. Alle eigentlich unbehausbar.
Landschaftsgemälde von einem bekannten Künstler
Und doch immer wieder von ein paar Hütten gesäumt.
Da fehlen mir die Worte
Und ich fragte mich zum x-ten Mal: Wer ist das, der so die Einsamkeit sucht? Oder wird man da einfach hingeboren und bleibt (für immer?).
Das Leben ist schön
Was machen die dort?
Besonders hier?
Hier hätte nicht einmal Robinson Crusoe überlebt. Wie schaffen die das?
Ay!
Was machen sie, wenn die Sonne nicht mehr täglich aufgeht?
Wenn Finsternis aus den Bergen kriecht und dich eben keine tausend Augen mehr ansehen, weil es nichts zu sehen gibt?
Wieso gibt es hier noch kleine Städte? Ich bin doch am Rand der Welt.
World's End
Eigentlich hat die Welt hier schon längst aufgehört.
Jede Etappe hat ihren “Drama-Tag”. Dieses Mal kam er ziemlich früh. Es war Mittsommer, die Finnen feierten im ganzen Land die Sonnenwende und machten einfach alles zu: Geschäfte, Restaurants und Hotels. Auf meinem Internet-Portal, auf dem ich täglich meine Unterkunft buchte, wurde mir im Umkreis von über 200 Kilometern kein einziges freies Bett angezeigt. Ganz ernst nahm ich das nicht, dachte, irgendetwas würde sich unterwegs schon finden.
Gut gelaunt steuerte ich zunächst den Strand von Yyteri an, mit einer – für die Ostsee – überaus beeindruckenden Dünenkulisse.
Es war aber kaum etwas los. Schon gar keine Sonnenwendfeier. Dafür kam ein strammer Herr mit stolzem Bauch auf mich zu und redete wild gestikulierend und ohne Unterlass auf mich ein. Ihn störte auch nicht, dass ich signalisierte, kein Wort zu verstehen. Er forderte mich mit Hände, Gesten und verständlichen Worten auf, ihn zu fotografieren und erzählte mir eine finnische Geschichte, von der ich nie erfahren werde, ob sie interessant war. Irgendwann wurde es mir zu viel und ich verabschiedete mich freundlich. Und hörte beim Weggehen wie er seine Erzählung immer weiter ausspann.
Es blies ein kalter Wind.
Kann Gras Gänsehaut haben?
Trotz Dauersonnenenschein war es eher kalt und sehr diesig. Der lang gezogene Strand ziemlich leer.
Sogar der Sand fröstelte
Auch in den Dünen hielt sich kaum jemand auf.
Sand in the wind
Ich sattelte mein Fahrrad, fuhr – jetzt schon Mittag – weiter Richtung Norden.
Dynamo
Die Straße brückte sich zu Inseln, die der Küste vorgelagert waren. Manchmal wirkte die Ostsee wie eine Gruppe miteinander verbundener Teiche.
Meiner Mutter hätt's gefallen
Ich hatte schon fast 100 Kilometer in der Beinen (es war später Nachmittag) und immer noch nirgends eine offene Unterkunft entdeckt.
Unterwegs: ein alter hölzerner Glockenturm …
Wärmende Farbe
… mit einer beindruckenden Almosenfigur neben der Tür. Sie zeigte mir den Weg zum Heimatmuseum von Siippy.
Mit Fischerhütte, Bauernhof, Windmühle …
Signalisiert sofort: Vergangenheit
und alter Gaststätte, die (natürlich) zu hatte.
Am kleinen (fast schon mondänen) Dorfhafen traf ich ein frustriertes junges finnisches Paar, das hierher geradelt war, weil es glaubte, dass es an diesem Ort eine große Sonnenwend-Party geben sollte. Jetzt war es ziemlich enttäuscht.
Die beiden suchten auf dem Handy nach Informationen, fanden aber keine Erklärung. Sie hatten aber immerhin Proviant, Schlafsack und Isomatte dabei und brauchten sich um eine Unterkunft (die es nicht gab), keine Sorgen zu machen.
Entlang der Küste in jeder noch so kleinen Bucht ein schönes Ferienhaus mit akkurat gepflegtem finnischen Rasen und Holzstühlen am Ufer, auf denen es sich bald die Hobbyangler bequem machen würden (die finnische Sommer-Ferien-Saison beginnt.
Ich hatte beschlossen, das Städtchen Kristinestad anzusteuern, in der Hoffnung, dort – nach gut 135 Kilometern Strampeln – eine Bleibe zu finden. Immerhin fand ich unterwegs eine offene Tankstelle, in der ich mich mit Wasser und etwas Essbarem eindecken konnte. Ein Herr (Rentner?) mit Cowboy-Hut und Cowboystiefeln näherte sich mir interessiert. Er sprach recht gut Deutsch und erklärte mir, dass er lange in Australien gelebt und beruflich die ganze Welt bereist habe. Zeitweise auch in Deutschland gearbeitet habe. Ich fragte ihn ein wenig aus über die Sommersonnenwende und er erzählte mir, dass er am Morgen in Siippy gewesen sei und dort ein “riesiger” Event stattgefunden habe. Mit Feuer, Tanz, traditionellen Liedern. Sogar eine Gruppe Asylsuchender sei von den Organisatoren eingeladen worden. Ich mussten an das frustrierte Pärchen denken, dass sich also ganz offensichtlich in der Tageszeit getäuscht hatte.
Die letzten 10 Kilometer nach Kristinestad taten mir weh. Es war hügelig, ich war müde und als ich über eine langgezogene Brücke in das Städtchen einfuhr, war es bereits 9 Uhr abends. 3 Hotels gab es in der schönen Altstadt. Alle 3 hatten Schilder an den Toren: Rund um Mittsommer geschlossen. Ich klapperte mit Hilfe meines Handy-Navis Restaurants ab – ich hatte Hunger und Durst – alle geschlossen. Die Straßen wie leergefegt.
Der finnische Sommergott hatte aber Erbarmen mit mir und führte mich zu einem Pub, das tatsächlich auf hatte und aus dem laute Musik dröhnte.
Ich ließ mich in einen Sessel fallen und überlegte, was zu tun. Hier die Nacht verbringen (das Türschild zeigte immerhin an, dass bis 4 Uhr morgens offen sein würde) und dann am Morgen an irgendeinem Strand schlafen?
Ich saß kaum richtig, schon gesellte sich ein sympathischer Koloss zu mir. Er kippte seine zahlreichen Biere schneller als ich eines schlucken konnte, erkannte sofort, dass ich ein Deutscher war und wollte in meiner Sprache mit mir reden. Er hatte viele Jahre auf der Kölner Messe gearbeitet, war jetzt pensioniert und vermisste ganz offensichtlich seine zweite Heimat. Immer wieder suchte er nach (deutschen) Worten, wurde mit jedem weiteren Bier sentimentaler, öffnete mir sein Herz. Er erklärte mir Finnland, das eingeklemmt zwischen Schweden (“arrogant”) und Russen (“grobschlächtig”) seinen unabhängigen Weg suche.
Geschichtenerzähler
Er hatte Tränen in den Augen und irgendwann bemerkte ich, dass sie sich zu einem Rinnsal verdichteten, das stetig in sein Bier tropfte und es versalzte. Dann stand er urplötzlich auf (beeindruckende Größe!) umarmte mich warmherzig und machte sich auf den Weg nach Hause.
Kaum war der Platz neben mir leer, war er schon wieder besetzt. Eine ebenfalls beeindruckende Gestalt in Jägerklamotten hatte sich zu mir gesellt.
(Sollte mich irgendein göttliches Wesen ein zweites Mal in dieses Leben lassen, so sollte es mir dann unbedingt die Gabe verleihen, mir Namen merken zu können. In diesem ersten Leben gelingt es mir einfach nicht.)
Auch er sprach einige Brocken Deutsch. Er hatte vor vielen Jahren in Travemünde gearbeitet. Jetzt war er in Rente, war seit 5 Jahren clean – hatte früher “einfach zu viel getrunken”. Schluss damit.
Auch ein Geschichtenerzähler
Und er war gerührt, wieder mit jemandem Deutsch sprechen zu können. Er fragte mich aus, gab mir Tipps für die Weiterfahrt und stand gegen 23 Uhr auf. Er war melancholisch, umarmte mich und verabschiedete sich in die (taghelle) Nacht.
Die Stimmung in der Kneipe mittlerweile aufgeheizt. Eine Dorfband befeuerte das Publikum, von dem die eine Hälfte schon im Vollrausch war.
Die andere würde sicher bald folgen.
Der bullige Thekenwirt packte im Minutentakt gehunfähige Gefährten am Kragen und beförderte sie auf die Straße.
Auch das über ihrem (letzten) Bier eingeschlafene Mädchen musste den Pub verlassen.
Macht keine Geschichten mehr
Ich ging ebenfalls. Draußen zeigte eine Uhr an, dass gleich ein neuer Tag beginnen würde. Die Sonne war gerade untergegangen. Die Dämmerung hatte eingesetzt.
Tag/Nachtverschmelzung
Eine Dämmerung, die aber in keine Nacht leitete, die nur zwei helle Tage miteinander verband. Ich beschloss, noch eine Weilte weiter zu radeln. Aber das ist ja schon die Geschichte vom nächsten Tag.
Zuerst mit der Fähre rüber auf die größte dänische Insel Sjælland.
Shark-Boot
Fast eineinhalb Stunden dauerte die Fahrt und kostete mit Fahrrad 50 Euro. Dänemark ist beinahe völlig bargeldlos. Jeder zahlt noch den kleinsten Betrag mit einer Kredit- oder Prepaid-Karte. Der Kellner an Bord der Fähre war so überrascht, als er mein Frühstück buchen und ich nicht mit Karte zahlen wollte. Er musste in die Bordküche zurück, um sich Wechselgeld zu holen.
Wegen eines Unwetters legte die Fähre verspätet in Sjællands Odde an. 11 Uhr war es bereits – und über 110 Kilometer lagen noch vor mir. Nach den ersten fünf hatte ich bereits einen Platten. Der Reifenmantel mit einem tiefen Riß. Ich flickte ihn notdürftig, tauschte den Schlauch aus und stieg wieder auf.
Lahmgelegt
Ich kämpfte ab nun nicht mehr nur gegen den Frontalwind. Ich kämpfte mit mir selbst ums Ankommen. Es war Nacht, als ich schließlich in die Hauptstadt einfuhr. Kopenhagen wirkte klein, gar nicht wie eine Metropole. Ich war gespannt, wie die Stadt sich am Morgen präsenteren würde. Mein vorgebuchtes Hotel lag im Stadtteil Vesterbro. Ein ehemaliges Arbeiter- und Rotlichtviertel. Malocher und Nutten sah ich in der Nacht allerdings nicht. Dafür Szenebars, die sich straßenweise wie Bernsteine mit wilden Einschlüssen zu schillernden Glitzerketten aufreihten. Was blieb mir übrig: Ich belohnte mich mit französischem Roten. Und schon nach dem zweiten Glas leerte sich mein Portemonnaie bedenklich. Ich gab schließlich meine letzten dänischen Kronen für den letzten gefüllten Kelch vor dem Schlafengehen.
Hammerharter Tag. Ich fuhr auf Texel gegen den ersten heftigen Herbststurm, pflügte mit der Fähre durchs aufgewühlte Meer zurück aufs Festland, ließ den Wind drehen und wehte mit Rückenwind durch Sonne, Schatten und Regen soweit die Reifen trugen: Sie trugen mich 170 Kilometer weit bis nach Groningen.
Welche Wohltat, in den Niederlanden Fahrrad überland zu fahren. Mir scheint, die Radwege werden noch besser gepflegt als die Straßen. Heute sogar lange Stücke durch einen friesischen Dünenwald geradelt. Außer mir war dort niemand unterwegs.
Waldeinsamkeit
Von den Dünenspitzen: Aussicht mit Sturm.
Gerichteter Blick
An den Stränden: Einiges los, trotz schlechter Sicht.
Dunstig ist überhaupt keine Beschreibung
Das Wetter in Nordholland wechselte im Minutentakt.
Verschleiert, geschliert
Mal verhalten strahlend.
Spätsommersonnig
Mal überraschend nicht völlig suppig.
Herbstsonnig
Für morgen war ein Temperatursturz angesagt, samt Regen und heftigen Windböen.
Spätsommerherbstsonnig
Ich nutzte die letzten warmen Stunden und setzte mit der Fähre von Den Helder auf die westfriesische Insel Texel über.
Doppelgriffig
Die Insel bestand im Prinzip nur aus Vieh- und Schafsweiden. Mit ein paar eingesprengten Dörfern. Überraschend groß allerdings die Fischfangflotte, die in Oudeschild im Hafen liegt.
Ausladend
Eingerastet
Die Dörfer schmuck, die Häuser frisch getüncht, die Vorgärten akkurat. Ich fühlte mich wie in einer Lego-Welt für Erwachsene. Ich hatte das “S”-Wort eigentlich vermeiden wollen. Aber ich entkam ihm nicht. Trotz überhaupt nicht aufgesetzter Gastfreundschaft, trotz guter Laune, die Kellner und Ladenbesitzer warmherzig verströmten: Es war spießig hier in Nordholland. Wo waren die bärbeißigen Walfänger und Seefahrer, die tätowierten Rocker und amsterdamschen Rumhänger, wo die Flippigen und jungen Straßenkiffer oder Tunixe?
“Gepflegt” war hier alles, von der Straße über den Radweg bis zu den Häusern, den Stränden und sogar das Verhalten der Menschen.
Die größte Extravaganz, die sich Einheimische, Urlauber und zugereiste Rentner erlaubten, war der eigene Hund: gestriegelt, gekämmt, “gepflegt” und immer an der Leine. Jeder hier führte einen Köter mit sich.
Meine Kamera weigerte sich, dieses Elend zu fotografieren. Also begnügte ich mich mit Fassaden …
Windkreuz
…und Straßenansichten.
Leergefegt
Irgendwann würde sich auch wieder die Lust einstellen,
Gereiht
Menschen zu fotografieren.
Begrünt
Vielleicht morgen.
Unterkunft: Hotel De Smulpot. Feines und sehr schönes Boutique-Hotel im Zentrum von Den Burg. Wie alle Unterkünfte sehr hochpreisig. 100 Euro (mit Frühstück). Fahrrad draußen angekettet.
Ich wollte früh aufbrechen, so im Morgengrauen. Mein Wirt sagte : “sinnlos” – und hatte recht. Noch um 8 Uhr war es saukalt und neblig trüb. Um 9 Uhr ein wenig besser. Wir starteten. Ließen das Boot ins Wasser. Nach 5 Minuten die Donau-“Tanke” erreicht. Mein Wirt füllte die Bootskanister auf. Ich kaufte einen Sixpack. Und los.
Eingemummelt
Durch einen Seitenkanal steuerte mein Gastgeber Richtung Donau. Will heißen: den unteren der 3 Mündungsarme.
Eingetrübt
Der Donauarm: breit, riesig, uninteressant.
Eingefahren
Spannend wurde es erst, als es ins Gebüsch ging.
Eingeschilft
Fischerhütten. Dort übernachten in der Saison Fischer. Am Morgen bringen sie dann ihren Fang in die Dörfer. 1 Stunde Fahrt. Manchmal mehr.
Jetzt waren die Hütten unterflutet. Die Donau hatte Hochwasser. Zudem war Schon- und Laichzeit. Kein Fischen erlaubt.
Eingeweicht
Auf manchen Delta-Inseln (sehr klein!) lebten Familien in ihren klammen Hütten.
Einödhof
Die Kinder sahen nie eine Schule. Noch packt es der rumänische Staat nicht, solch entlegene Orte mit Infrastruktur zu versorgen (Schul-Boot-Taxi?).
Splendid isolation
Wir wurden mit viel Hallo und Geschrei begrüßt und verabschiedet.
Als sei's der Amazonas
Immer tiefer steuerten wir ins Delta hinein. Mein Wirt hatte die Lizenz, selbst in das absolut geschützte Bioreservat zu fahren.
Bisschen brackig
Wasserdschungel.
Ganz brackig
Auf einer kleinen Insel ein Grabkreuz:
Auch hier wird gestorben
Die ersten Vögel bekam ich vor die Linse. Unscharf noch.
Von hinten
Fasan männlich.
Beäugt
Fasan weiblich.
Halb von der Seite
Weiter und weiter in den Urwald. Mein Wirt kannte jeden Winkel.
Verzweigt und verästelt
Sie hatte er aber auch noch nicht gesehen: eine Wildkatze. Für Sekunden war sie da. Lugte durch das Gestrüpp einer kleinen Landzunge. Guckte selbst überrascht.
Ertappt
Ich recherchierte später (in der Nacht) im Internet: Offenbar ist es fast unmöglich, eine Wildkatze in freier Wildbahn zu fotografieren. Zu scheu. Wildkatzen gelten zudem als nicht zähmbar.
Offensichtlich hatte ich Riesenglück. Fotojägerglück.
Vergrößert
Mir gelangen zwei drei Aufnahmen. Dann war sie weg.
Und tschüss
Und kaum eine halbe Stunde später wieder ein Glücksschuss: “Look look” – rief mein Wirt aufgeregt – “a wild dog!”
Gemütlich
Er wirkte gar nicht scheu. Schaute interessiert, wie wir uns dem Ufer näherten.
Als wir Anstalten machten, den Grund zu betreten, trottete er von dannen.
Dackelblick
Auch hier recherchierte ich in der Nacht im Internet: Offensichtlich war dies ein “Marderhund”. Gilt ebenfalls als sehr scheu (kann ich nicht bestätigen). Sein Lebenskreis ist eigentlich Japan, China und Sibirien. Seit einigen Jahrzehnten wird er u.a. auch in der Ukraine und eben hier im rumänischen Donaudelta gesichtet.
Was für ein Tag!
Wir drehten noch ein paar Runden im Schilf.
Schilfinseln
Gespiegelt
Dann lotste mich mein Wirt auf einen der vielen Binnenseen im Delta. Er sagte, leider seien wir zu früh dran. Im April gäbe es dort noch nichts zu sehen. Wasserblumen und Vögel verschönerten die Seen erst ab Mai. Vor allem die Pelikane seien noch in Afrika. Wie gut, dass er sich irrte. Kaum waren wir auf dem See, sichteten wir schon die ersten Pelikane.
Mittlerweile hatten wir 5 bis 6 Stunden auf dem Wasser verbracht. Wir wurden hungrig. Steuerten das Boot nach Hause. Ich guckte nicht mehr nach Tieren. Nur noch auf das Wasser. Irre Spiegelungen.
Artwork
Nur die Wasserpolizei störte das ruhige Gewässer. Brauste mit Macht und ohne Rücksicht auf die Stille durch den Kanal.
Ungestüm
Kurz vor Ankunft noch ein LanghalsReiher (gibt’s gar nicht, hab ich recherchiert – also ein Fake-Reiher).
Langhals
Es war später Nachmittag als wir wieder festen Boden betraten. Zuhause brutzelte mir mein Wirt über offenem Feuer noch den besten Grillfisch, den ich je gegessen habe. (Dieser Superlativ muss sein!) Scrumbie!
Hausgrill
Jetzt im April sei der Fisch am besten! Laichzeit. Dann kämen die Schwärme aus dem Schwarzen Meer die Donau hoch. Und genau dann sei das Fleisch der Fische fantastisch. Ich hatte keinen Vergleich, war aber völlig begeistert.
Ich fragte meinen Wirt, wie er eigentlich erkenne, ab wann die Fische über dem Feuer gar seien.
“Wenn die Augen weiß werden”, erwiderte er.
Dinner for two
Und schließlich zeigte er mir, dass man hierzulande den toten Fisch nicht mit Messer und Gabel traktiert, sondern ihn schön mit den Fingern filetiert. Es war superköstlich.
Dazu servierte die Frau des Wirtes eine selbstgemachte Kaviarcreme. Aus dem Rogen von Donaukarpfen. Umwerfend.
Hier war ich vor 42 Jahren auf meiner ersten großen Europareise (getrampt, mit Isomatte, Bundeswehr-Schlafsack, ohne Zelt, aber mit Gitarre) für eine Woche gestrandet. Nur der Himmel über mir. Das nahe Sarti damals ein verschlafenes Nest mit ein paar wenigen Häusern und zwei, drei Tavernen, die billig, für mich aber immer noch zu teuer waren. Ich fischte (mit loser Leine um den Finger gewickelt), grillte den auf einem Ast aufgespießten Fisch über offenem Feuer, kochte mir auf einem Campingkocher was es so gab (Eintopf, Spaghetti). Ab und zu kamen ein paar griechische Jungs vorbei. Wir klampften, sangen Arbeiterlieder (Sacco und Vanzetti) und Bob Dylan. Es war das erste Mal (mit 20 Jahren), dass ich absolute Freiheit empfand. Hierher gelotst hatte mich ein mit Schreibmaschine getippter Reiseführer,
Als Reisen noch gebildet hat
mit selbstgemalter Landkarte von Chalkikdi. Mit so wertvollen Tipps wie: “Den besten Zeltplatz sucht man sich am besten selber … und dann per Autostop zum nächsten Dorf, Wasserholen”.
3 Finger Tipp
Als ich von oben auf den Strand blickte, überlegte ich, ob ich runtergehen sollte. Aber das war mir schließlich zu viel Pathos. Man steigt niemals zweimal in den gleichen Strand.
Ich fuhr einfach weiter … vorbei.
Kaum noch besiedelt die Küste ab jetzt. Viele einsame Strände …
Karibisches Feeling
… die erst im Sommer ihre Anmut verlieren werden.
On top of the rocks
Steinwurzler
Dann wird sogar die eingemottete schäbige Strandbar wieder schneeweiß/griechischblau leuchten und Menschen, Menschen werden sich davor drängeln.
Winterstarre
Wind kam auf, Regen. Ich musste ein Bergmassiv kreuzen. Suchte ab und zu Schutz unter einem Baum mit breiter Krone.
Es graute früh. Schussabfahrt nach Ierissós mit (geahnt) grandiosen Aussichten auf Inseln, Landzunge, Halbinseln, auf dunkles Meer.
Inseln schwimmen immer oben
Unterkunft in Ierissos: Hotel Markos. Strandnah. Familienhotel. Einfach eingerichet. Sehr nette Rezeption. 50 Euro (ohne Frühstück).