Meer Europa

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Tag 299 (28.06.2019) / Finnland: Pausentag in Rovaniemi

Morgen werde ich ein Jubiläum feiern: 300 Tage auf dem Sattel rund um Europa. Da ich aber nicht weiß, ob ich früh genug an meinem Ziel (Sodankylä) ankommen werde (immerhin ca. 130 Kilometer – meist bergauf), beschloss ich, schon in Rovaniemi mir ein “Feiertags”-Menü zu gönnen. Lappländisch. Vorspeise: Lachssuppe (köstlich!). Nachspeise: Joghurt mit Blaubeeren (der Name verrät nicht, wie herrlich das schmeckte). Hauptspeise: Rentier auf zwei Arten zubereitet.

Zauberfarben

Rentier: einmal geschmort, einmal gebraten. Ich war begeistert. Kombiniert mit allerlei essbaren Blüten und mit grünem Spargel.

Leider spielte mein Fotoapparat verrückt und schoss ein analoges Negativ. Um es zu entwickeln, muss ich den Film erst noch (Zuhause) ins Labor bringen. Bin auf das Ergebnis sehr gespannt.

Ansonsten, was tat ich den Tag? Nicht viel. Ich besuchte das Arctic-Museum (sehr sehenswert) – mit einer Abteilung, die sich sehr anschaulich um das traditionelle Leben der Lokalbevölkerung kümmerte.

Dresscode: Elegant
Noch warm der Fuchs
Leicht angespannt

Und ich bereitete meine Tour tief nach Lappland rein vor. Ab morgen sollte es (dauerhaft) regnen und kalt werden. Hoffentlich irrte sich die Vorhersage. Ich weiß nicht , ob meine 4 Jahre alte Ausrüstung einem Dauerregen standhält.

Tag 292 (21.06.2019) / Finnland: Pori -> Pjelax

Strecke: 153 km (09:00 – 01:15 Uhr)

Jede Etappe hat ihren “Drama-Tag”. Dieses Mal kam er ziemlich früh. Es war Mittsommer, die Finnen feierten im ganzen Land die Sonnenwende und machten einfach alles zu: Geschäfte, Restaurants und Hotels. Auf meinem Internet-Portal, auf dem ich täglich meine Unterkunft buchte, wurde mir im Umkreis von über 200 Kilometern kein einziges freies Bett angezeigt. Ganz ernst nahm ich das nicht, dachte, irgendetwas würde sich unterwegs schon finden.

Gut gelaunt steuerte ich zunächst den Strand von Yyteri an, mit einer – für die Ostsee – überaus beeindruckenden Dünenkulisse.

Es war aber kaum etwas los. Schon gar keine Sonnenwendfeier. Dafür kam ein strammer Herr mit stolzem Bauch auf mich zu und redete wild gestikulierend und ohne Unterlass auf mich ein. Ihn störte auch nicht, dass ich signalisierte, kein Wort zu verstehen. Er forderte mich mit Hände, Gesten und verständlichen Worten auf, ihn zu fotografieren und erzählte mir eine finnische Geschichte, von der ich nie erfahren werde, ob sie interessant war. Irgendwann wurde es mir zu viel und ich verabschiedete mich freundlich. Und hörte beim Weggehen wie er seine Erzählung immer weiter ausspann.

Es blies ein kalter Wind.

Kann Gras Gänsehaut haben?

Trotz Dauersonnenenschein war es eher kalt und sehr diesig. Der lang gezogene Strand ziemlich leer.

Sogar der Sand fröstelte

Auch in den Dünen hielt sich kaum jemand auf.

Sand in the wind

Ich sattelte mein Fahrrad, fuhr – jetzt schon Mittag – weiter Richtung Norden.

Dynamo

Die Straße brückte sich zu Inseln, die der Küste vorgelagert waren. Manchmal wirkte die Ostsee wie eine Gruppe miteinander verbundener Teiche.

Meiner Mutter hätt's gefallen

Ich hatte schon fast 100 Kilometer in der Beinen (es war später Nachmittag) und immer noch nirgends eine offene Unterkunft entdeckt.

Unterwegs: ein alter hölzerner Glockenturm …

Wärmende Farbe

… mit einer beindruckenden Almosenfigur neben der Tür. Sie zeigte mir den Weg zum Heimatmuseum von Siippy.

Mit Fischerhütte, Bauernhof, Windmühle …

Signalisiert sofort: Vergangenheit

und alter Gaststätte, die (natürlich) zu hatte.

Am kleinen (fast schon mondänen) Dorfhafen traf ich ein frustriertes junges finnisches Paar, das hierher geradelt war, weil es glaubte, dass es an diesem Ort eine große Sonnenwend-Party geben sollte. Jetzt war es ziemlich enttäuscht.

Die beiden suchten auf dem Handy nach Informationen, fanden aber keine Erklärung. Sie hatten aber immerhin Proviant, Schlafsack und Isomatte dabei und brauchten sich um eine Unterkunft (die es nicht gab), keine Sorgen zu machen.

Entlang der Küste in jeder noch so kleinen Bucht ein schönes Ferienhaus mit akkurat gepflegtem finnischen Rasen und Holzstühlen am Ufer, auf denen es sich bald die Hobbyangler bequem machen würden (die finnische Sommer-Ferien-Saison beginnt.

Ich hatte beschlossen, das Städtchen Kristinestad anzusteuern, in der Hoffnung, dort – nach gut 135 Kilometern Strampeln – eine Bleibe zu finden. Immerhin fand ich unterwegs eine offene Tankstelle, in der ich mich mit Wasser und etwas Essbarem eindecken konnte. Ein Herr (Rentner?) mit Cowboy-Hut und Cowboystiefeln näherte sich mir interessiert. Er sprach recht gut Deutsch und erklärte mir, dass er lange in Australien gelebt und beruflich die ganze Welt bereist habe. Zeitweise auch in Deutschland gearbeitet habe. Ich fragte ihn ein wenig aus über die Sommersonnenwende und er erzählte mir, dass er am Morgen in Siippy gewesen sei und dort ein “riesiger” Event stattgefunden habe. Mit Feuer, Tanz, traditionellen Liedern. Sogar eine Gruppe Asylsuchender sei von den Organisatoren eingeladen worden. Ich mussten an das frustrierte Pärchen denken, dass sich also ganz offensichtlich in der Tageszeit getäuscht hatte.

Die letzten 10 Kilometer nach Kristinestad taten mir weh. Es war hügelig, ich war müde und als ich über eine langgezogene Brücke in das Städtchen einfuhr, war es bereits 9 Uhr abends. 3 Hotels gab es in der schönen Altstadt. Alle 3 hatten Schilder an den Toren: Rund um Mittsommer geschlossen. Ich klapperte mit Hilfe meines Handy-Navis Restaurants ab – ich hatte Hunger und Durst – alle geschlossen. Die Straßen wie leergefegt.

Der finnische Sommergott hatte aber Erbarmen mit mir und führte mich zu einem Pub, das tatsächlich auf hatte und aus dem laute Musik dröhnte.

Ich ließ mich in einen Sessel fallen und überlegte, was zu tun. Hier die Nacht verbringen (das Türschild zeigte immerhin an, dass bis 4 Uhr morgens offen sein würde) und dann am Morgen an irgendeinem Strand schlafen?

Ich saß kaum richtig, schon gesellte sich ein sympathischer Koloss zu mir. Er kippte seine zahlreichen Biere schneller als ich eines schlucken konnte, erkannte sofort, dass ich ein Deutscher war und wollte in meiner Sprache mit mir reden. Er hatte viele Jahre auf der Kölner Messe gearbeitet, war jetzt pensioniert und vermisste ganz offensichtlich seine zweite Heimat. Immer wieder suchte er nach (deutschen) Worten, wurde mit jedem weiteren Bier sentimentaler, öffnete mir sein Herz. Er erklärte mir Finnland, das eingeklemmt zwischen Schweden (“arrogant”) und Russen (“grobschlächtig”) seinen unabhängigen Weg suche.

Geschichtenerzähler

Er hatte Tränen in den Augen und irgendwann bemerkte ich, dass sie sich zu einem Rinnsal verdichteten, das stetig in sein Bier tropfte und es versalzte. Dann stand er urplötzlich auf (beeindruckende Größe!) umarmte mich warmherzig und machte sich auf den Weg nach Hause.

Kaum war der Platz neben mir leer, war er schon wieder besetzt. Eine ebenfalls beeindruckende Gestalt in Jägerklamotten hatte sich zu mir gesellt.

(Sollte mich irgendein göttliches Wesen ein zweites Mal in dieses Leben lassen, so sollte es mir dann unbedingt die Gabe verleihen, mir Namen merken zu können. In diesem ersten Leben gelingt es mir einfach nicht.)

Auch er sprach einige Brocken Deutsch. Er hatte vor vielen Jahren in Travemünde gearbeitet. Jetzt war er in Rente, war seit 5 Jahren clean – hatte früher “einfach zu viel getrunken”. Schluss damit.

Auch ein Geschichtenerzähler

Und er war gerührt, wieder mit jemandem Deutsch sprechen zu können. Er fragte mich aus, gab mir Tipps für die Weiterfahrt und stand gegen 23 Uhr auf. Er war melancholisch, umarmte mich und verabschiedete sich in die (taghelle) Nacht.

Die Stimmung in der Kneipe mittlerweile aufgeheizt. Eine Dorfband befeuerte das Publikum, von dem die eine Hälfte schon im Vollrausch war.

Die andere würde sicher bald folgen.

Der bullige Thekenwirt packte im Minutentakt gehunfähige Gefährten am Kragen und beförderte sie auf die Straße.

Auch das über ihrem (letzten) Bier eingeschlafene Mädchen musste den Pub verlassen.

Macht keine Geschichten mehr

Ich ging ebenfalls. Draußen zeigte eine Uhr an, dass gleich ein neuer Tag beginnen würde. Die Sonne war gerade untergegangen. Die Dämmerung hatte eingesetzt.

Tag/Nachtverschmelzung

Eine Dämmerung, die aber in keine Nacht leitete, die nur zwei helle Tage miteinander verband. Ich beschloss, noch eine Weilte weiter zu radeln. Aber das ist ja schon die Geschichte vom nächsten Tag.

Tag 258 (10.04.2018) / Rumänien: Jurilovka -> Murighiol

Strecke: 63 km (09:00 – 14:30 Uhr)

Ich bremste mich selbst ab. Statt schneller Strecken, vergnügte ich mich mit langsamen Dorfdurchfahrten. Weit wollte ich nicht kommen, höchstens ankommen. Irgendwann.

Jurilovka präsentierte mir am Morgen seine schönsten Straßenrand-Häuser mit Frühlicht.

Sinn für Farbe

Ich hätte eigentlich jedes Haus fotografieren können.

Sinn für alte Farben

Beschränkte mich aber auf 3 nebeneinander liegende Anwesen.

Sinn für verblassende Farbe
Frohsinn durch Farbe

Die Landschaft wellig – mit lang langen Alleen.

Licht am Ende des Tunnels

Ich dachte, je näher ich dem Donaudelta komme, umso flacher die Strecke. Weit gefehlt.
Fast mittelgebirgsmäßige Anstiege. (In Wahrheit nicht mehr als jeweils 100 Höhenmeter – aber subjektiv ging’s steil hoch.)

Und Abfahrten natürlich, die mich immer wieder zum Anhalten zwangen. Zu schöne Aussichten.

Wohin führt die Straße?

Im nächsten Dorf ein Bauernmuseum.

Time I remember

Ein typischer Bauernhof aus dem Jahr 1900, liebevoll restauriert und konserviert.

On top
Grounded

Ob noch jemand im Dorf diese Webkunst beherrscht?

Einladend

Feine Stoffe und Teppiche.

Stilleben mit Puppen
Welche Schätze wurden darin aufbewahrt?
Kann das noch jemand im Dorf?
Zu welchem Anlass trug Frau solche Schlappen?

Arm war der Besitzer dieser Kutsche sicher nicht.

Für die Sonntagsfahrer

Das Dorf selbst alles andere als museal. Viel Leben auf der Straße. Frauen mit Kopftüchern, Einkäufe erledigend. Alte Männer wild gestikulierend im Schatten. Und vor vielen Häusern saßen Paare einträchtig auf der Bank vor ihrem Haus und schauten interessiert dem Treiben zu.

Sehr lebendig

Wieder raus aus dem Dorf und weiter. Immer wieder kleine Lagunen.

Wassersatt, natursatt
Froschsicht

Ich hatte das Delta erreicht. Murighiol. Ein kleines Fischernest, das noch ziemlich eingemottet wirkte. Ich erlebte aber einen Glückstag. Ich fand eine Unterkunft mit einem Besitzer, der mir versprach, mich morgen mit seinem Boot den ganzen Tag durchs Delta zu kutschieren.
“You are a lucky guy” – sagte er mir. Woher er das wußte?

Unterkunft in Murighiol: Casa Badea. Mitten im Dorf. Sehr sympathische Privatunterkunft. (3, 4 Zimmer). Schöner Garten mit Terrasse. Super Besitzer, der auch Ausflüge im Delta selbst organisiert und durchführt. (Er hat dafür ein Boot, das ein halbes Dutzend Gäste transportieren kann.) 30 Euro (ohne Frühstück).

Tag 100 (7.11.2015) / Frankreich: Bayeux -> Trouville-sur-Mer

Strecke: 82 km (09:15 – 17:00)

Der hundertste Tag meiner Europa-Umrundung! Und kein Regen! Schon das war ein Geschenk.
Ansonsten wiederholte sich das, was ich in den beiden Etappen zuvor schon erlebt hatte: Kurz vor Etappen-Schluss fing der Körper an zu streiken. Ich saugte die letzten Reserven aus ihm, das letzte Loch im Gürtel hielt die Hose kaum noch. Ich musste zig Kilos abgenommen haben. Ich trank und aß wie der Teufel, aber das füllte den Kalorienbedarf nicht mehr vollständig auf. Mein Körper suchte Fett zum Verbrennen und fand keines mehr.
Mit anderen Worten: Ich fuhr auf der letzten Rille.

Hatte heute aber Glück, dass es lange kaum Steigungen gab und der Wind sich gerade aus mir auch nichts machte und nur sanft pustete.

Manchmal richtig schöne Wege – nur für mich.

Hohle Gasse

Immer wieder kleine Dörfer. In fast keinem fehlte ein Gedenkstein, ein Museum, eine Erinnerungswand an die deutsche Besatzung und den Freiheitskampf der Alliierten.
Manchmal standen alte Männer vor den Schautafeln – und vergewisserten sich ihrer Vergangenheit.

(Es war mir bisher mitnichten klar, welch epochale Macht die Normandieschlacht für das Weltkriegsgedenken in Europa hat.)

Erinnerung stirbt mit dem letzten Erinnernden

Schon bald erreichte ich wieder die Küste. Ich liebe die alten Lilliput-Traktoren, die an den Stränden warten, bis sie wieder ein Fischerboot aus dem Wasser ziehen können.

Bulldogge

Die Landschaft änderte sich allmählich: Aus Wellen wurden Hügel, aus Hügeln kleine Berge. Und plötzlich waren auch die Küstenorte nicht mehr verschlafen und unprätentiös. Sie wurden zusehends mondäner. Spektakulär sogar.

Gemalt

Die Normandie änderte ihren Charakter, wurde Heimstatt der Reichen, der Pariser Bohème, der Hautvolee.

In Deauville gab es statt Motels Boote-Hotels, in denen man vom Steg direkt ins Bett springen konnte.

Wirkt fremd, ist fremd

Der Strand nicht nur zum Räkeln.

Auf Trab

In Spuckentfernung ein weiteres mondänes Städtchen, das aber bei weitem nicht so spießig wie der Nachbarort war. Ganz im Gegenteil. Der Ort sprühte vor Vitalität.
Die Reichen, Filmstars und Sternchen weilten in Deauville, halb Paris aber hielt sich heute in Trouville-sur-Mer auf.

Vital

Ich gab einem spontanen Impuls nach, obwohl ich eigentlich noch eine Stunde radeln wollte, und quartierte mich in diesem Städtchen ein.

Ich bereute es nicht.

Klasse Nacht.

Little Paris

Selten so eine Anhäufung von gestriegelten Männern (Typ Bernard-Henri Lévy) und 1a kostümierten Frauen gesehen (Typ Jean Seberg, junge Romy Schneider, Carla Bruni, Chanel Model, Lagerfeld Model…)
Ich musste aufpassen, dass mein Geldbeutel noch halbwegs gefüllt blieb. In den In-Bars verlangte man sogar für einen 0,1 Wein ab 9 Euro.
Ich hielt mich also zurück.

Unterkunft in Trouville: “Hotel La Reynita”. Zentrum. Sehr nah zu den guten Restaurants und Bars gelegen. Fürs Gebotene viel zu teuer, aber für Trouville-sur-Mer sogar bezahlbar. (72 Euro ohne Frühstück.) Portier nett, wollte aber partout nicht helfen, das Fahrrad unterzubringen. Das Hotel habe keine Stellfläche. Punkt. Hab es erst draußen angekettet und in der Nacht, als der Portier schon schlief, ins Foyer gepackt. Am Morgen hat sich niemand beschwert.

Tag 99 (6.11.2015) / Frankreich: Carentan -> Bayeux

Strecke: 48 km (09:15 – 13:00)

Regentag. Superwindtag. Böen, die mich fast vom Fahrrad warfen.
Nur selten klarte es etwas auf. Nur einmal, als es ein bisschen trockener wurde, zückte ich mein Foto.

Ich fuhr durch Bauernland. Ohne das ich jeh einen Bauern zu sehen bekam. Die gehen bei Wind und Wetter wohl auch nicht raus.

Ob's hier europäische Subventionen gibt?

Völlig durchweicht gab ich nach 3 Stunden Druckwasserbespaßung auf und sucht mir in Bayeux ein Hotel.

Ich hatte Glück. Ich hatte dieses Städtchen im Reiseführer überlesen. Sehr sehr sehr schön. Mit einer der schönsten Kathedralen, die ich je besucht habe.

Alle Kraft zum Himmel hoch
Alle Kraft im Stein

Langsam werd’ ich zum Kirchgänger. Immerhin wird man dort nicht nass.

Klasse Ort. Mit vielen kleinen Bars, Weinprobierstuben und Restaurants. Ich bekam den Tag auch so rum – ohne Fahrradfahren.

Besuchte ein beeindruckendes Museum. 70 Meter gestickter Stoff – über tausend Jahre alt – erzählt in Leinen-Bildern die Geschichte der Eroberung Englands durch die Normannen. Weltkulturerbe.

Alle Kraft voraus

Feine Arbeit.

Alle Kraft zum Töten

Zum ersten Mal viele Touristen gesehen, Keine Binnenfranzosen, extrem viele US-Bürger. Verbinden wohl D-Day-Tourismus mit französischer Küche. Am Abend fiel mir auf, dass morgen mein hundertster Tag der Europa-Umrundung beginnen würde. HUNDERT TAGE!

Ich genehmigte mir ein feines Mal auf das Jubiläum.

(Und hatte keine Ahnung wie viel weitere hundert Tage noch folgen würden, bis ich diesen Kontinent umrundet haben würde.)

Jubel

Vorspeise: “L’assiette de coquillages et crevettes” (huitres, bulots, birgoneaux, crevettes) / (Meeresfrüchte)
Hauptgericht: “Pavé de noix de veau campagnard et sauveurs d’automne aux bais rouges” (Rindersteak)
Und als Nachspeise einen exzellenten normannischen Apfelkuchen mit Vanilleeis und Karamellcreme.

Unterkunft in Bayeux: “Hotel Reine Mathilde”. Gegenüber Kathedrale. Sehr hilfsbereiter Empfang. Sprach etwas Englisch. Hotel hatte Bar/Brasserie. Angenehm. (60 Euro ohne Frühstück.) Fahrrad in Garage untergestellt. Kostete 5 Euro extra.

Tag 49 (04.04.2015) / Albanien: Ulcinj -> Shkodra

Strecke: 47 km (09:30- 13:30)

Morgendlicher Blick von meiner Zimmer-Terasse in Ulcinj.

So könnt’ jeder Morgen beginnen!

Die Tische im Restaurant waren bereits eingedeckt für das am Mittag stattfindende Gipfeltreffen des albanischen Regierungschefs mit dem montenegrinischen Präsidenten. Der Präsidentenplatz wurde kurz für mich freigemacht. Dinner (Frühstück) for one.

Breakfast with the president

Gegen halb Zehn aufgebrochen. In den Vororten Ulcinjs boten Albaner frischen Fisch auf der Straße an. In den offenen Kofferräumen ihrer klapprigen Autos.

Erneut sah ich eine Roma-Familie, die Müllcontainer durchsuchte. Äußerst verwahrloste Kinder mit Rotznasen. Es tut weh, zu sehen, wie die Kleinen darauf trainiert sind, alles nach Eß- und Verwertbarem zu durchstöbern. Verhärmte und ungebildete Gesichter. Welch ein europäischer Skandal, dass es in keinem Land gelingt, den Roma ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Nach Ulcinj ging es leicht aufwärts, ab in die Hügellandschaft Südmontenegros. Kaum noch Siedlungen.

Fahrradschluchten

Schon bald kamen mir Motorräder mit Polizeisirenen und eine Autokolonne entgegen. Montenegros Präsident im Eiltempo nach Ulcinj.

Schwarze Politikbonzen

Fast alles BRD-Limousinen. Bonzenlieferantenfirmen.

Wieso eigentlich fahren beinahe sämtliche Regierungschefs, Präsidenten, Diktatoren und Minister “Mercedese”?
Wäre doch ein gutes Thema für Verschwörungsliebhaber. Wie Mercedes sich die Weltherrschaft sichert durch heimliche Abhöranlagen in den Limousinen. Oder besser: Das ganze Auto ist ein einzige Wanze. Alle Gespräche, die in ihm geführt werden, die heimlichen und unheimlichen, laufen in der Abhörzentrale in Untertürkheim auf. So lenkt der Konzern das Weltgeschehen! Die “Heiligen Ritter mit dem Stern”.

Am Wegrand legten Bauern und Bäuerinnen Selbstgebranntes, Selbsteingemachtes und Selbstgestricktes aus.

Truckstop

Nach drei Stunden den Grenzübergang zu Albanien erreicht. Problemloser Grenzübertritt. Und schon war ich im Land der Skipetaren.

Hoffentlich musste ich nicht über die Schneeberge am Horizont.

Trasmontana

Zunächst aber die Buna entlang.

Merkwürdige Burgen bauen die Albaner.

Flussburg

Kurz vor Shkodra den Fluss überquert.

Broken Bridges

Dann in die Hauptstadt des albanischen Nordens hineingefahren. Klar war der erste Eindruck ein chaotischer, düsterer, grauer: breite Alleen aus der stalinistischen Zeit mit tristen und heruntergewohnten Wohnblöcken.

Welch eine Überraschung aber im Zentrum. Zwei drei fein herausgeputzte Straßen.

Cool

Klar, das sah noch leer aus – gerade an einem Samstag. Wer hier kann sich das Terrassensitzen mit Kaffee, Latte, Bier und Wein leisten? Die Touristen würden erst noch kommen und dann (hoffentlich) die leeren Tische füllen.

Die EU jedenfalls ist schon da.
Albanien will ja schließlich auch hinein.

Join the Union

Ich fühlte mich sehr wohl.

Markt und Moschee

Das Hotel, in dem ich mich einquartiert hatte, wurde von einem sehr geschäftstüchtigen albanischen Paar betrieben. Es hatte ein altes Haus wieder im traditionellen Stil aufgemöbelt. Die Unterkunft glich mehr einem Museum, denn einem Gasthaus. Mit einem klasse Restaurant.

Die Besitzerin eine Muslima, die Ostereier bemalte. Ihr Mann ist Katholik.

Das ganze Restaurant beim Eiermalen

Am Abend: Zum ersten Mal auf dieser Reise ein volles Lokal gesehen. Nur Einheimische. Auffallend schöne Frauen.
Lokale Prominenz versammelte sich. Ob Ostern der Anlass war?

Schnell einiges gelernt über das Sozialverhalten. Lokale Autoritäten in feinen Kleidern, die von den Kellnern mit Unterwürfigkeitsgesten begrüßt wurden und für die Tische rasch freigeräumt wurden. Und dann gab es junge Kerle in Trainingsanzügen, die spät und unangemeldet kamen und für die extra Tische hereingeschafft wurden. Die Jungprotze benahmen sich nicht rüpelhaft, aber deutlich ohne die geschliffenen Manieren der offiziellen Autoritäten. Sie konnten sich einiges erlauben. Offizielle und inoffizielle Autoritäten, die sich gegenseitig misstrauisch beäugten.

Ich hatte das seltene Vergnügen, der lokalen Mittelschicht beim Feiern zuzuschauen.
Ein ZweiMann-Orchester sorgte mit Albano-Pop für Stimmung bis in den Morgen hinein.

Habe mich mit mittelmäßigem albanischen Rotwein in die Nacht geschossen.

Welch schönes Land.

Unterkunft: Hotel Tradita in Shkodra. Verdammt schön. Eine Oase. (38 Euro mit Frühstück). Fahrrad draußen am Fahrradständer gelassen.