Manchmal wurde es richtig flach. Die Berge zogen sich ins Hinterland zurück. Weiße Schneehauben waren seit ein paar Tagen (seit wann eigentlich genau?) verschwunden.
Sommerfarben
Jetzt dominierten die Bauernhäuser. Fischerkaten wurden seltener.
Aber der Sommer gleicht hier eher dem mitteleuropäischen Frühling
Nicht mehr jedes Haus war rotbraun oder gelb. Manche im aristokratischen Weiß.
Unbefleckt
Mit schöner Schreinerkunst.
Keusch
Aber die Berge kamen zurück. Forderten mich wieder heraus.
Runter macht es mehr Spaß
Ich machte häufiger Rast.
Warmer Rastplatz. Die Sonne wärmte mich und den Stein
Der Wald wuchs in das Meer hinein. Von oben wirkten die Fjorde jetzt wie aufgeraute Waldseen.
Ich warte immer noch auf den ersten Indianer
Nach etwa 100 Kilometern hatte ich Glück. Ich spechtete in einem Dreiseelendorf ein “Feriehus”, das sogar noch ein Zimmer frei hatte. Das teuerste natürlich. Ein riesiges Apartment mit Einbauküche. Ich hatte vorgesorgt. Ich hatte genügend Wein, Brot, Käse und Dosentunfisch (in Öl und peperoni-scharf) dabei. Ich wurde satt. Und durstig blieb ich auch nicht.
Ziemlich genau um Mitternacht fuhr ich an Saariselkä, einem bekannten Wintersportort, vorbei. Checkte per Handy, ob es irgendwo noch eine offene Kneipe geben könnte. Volltreffer. Und landete schließlich in einer riesigen Holzhüttenbar, ganz offensichtlich für den Après-Ski oder den Après-Husky-Lauf konfektioniert. Jedenfalls keine Sommerbar und entsprechend leer: ein paar Jugendliche, die sich betranken oder ihr Geld an den Spielautomaten vernichteten.
Townhall
Ich wärmte mich auf, leerte zwei kalte Biere und machte mich nach dem Rausschmiss aller Gäste um 2 Uhr morgens wieder auf den Weg.
Mein Schatten irritierte mich. Vor 2 Stunden war er noch rechts von mir, jetzt auf einmal links. Bis mir klar wurde, dass die Sonne, obwohl sie eigentlich nicht wirklich untergegangen war, von West auf Ost umgestellt hatte. Aber wie funktionierte das? Wie konnte sie einfach vom Westhorizont zum Osthorizont hüpfen? Innerhalb weniger Minuten? Wieso hatte ich auf meiner Fahrt durch die nordfinnischen Berge nicht besser aufgepasst?
Schönes milchiges Morgenlicht (schon um 3 Uhr in der Früh!!!).
Himmel unten wie oben
Weit vor mir liefen einige Rentiere auf der Straße. Ließen sich aber nicht fotografieren (obwohl sie eigentlich überhaupt nicht scheu sind).
Es dampfte und rauchte in den noch ziemlich klammen Flüssen.
Steine treiben Wasser an
Ich zog dicke Strümpfe an, auch mein Handy signalisierte mir, dass die Außentemperatur bei etwa 5 Grad lag.
Gras beruhigt Wasser
Nur langsam, langsam wärmte sich das Licht (und ich auch).
Gegen 5 Uhr morgens wurde ich kraftlos. Aber ich wollte unbedingt bis zum Inari-See kommen. Es fehlten noch 30, 40 Kilometer.
Kaum ein Mensch unterwegs. Ich hatte die ganze Morgenwelt für mich.
Verdopplung
Und schleppte mich selbst immer weiter, bis ich kurz nach 9 Uhr endlich in Inari einfuhr. Ein kleiner schmuckloser Weiler am für Samen heiligen Inari-See. Die Ortschaft richtig unansehlich. Gleichwohl: Von hier aus starten viele Touren zu den Inseln auf dem riesigen See oder in die viel angepriesenen Waldtrails. Selbst mit Wasserflugzeugen kommen Touristen hierher. Stranden für ein paar Tage.
Fliegendes Hausboot
So vergebens ich heute Nacht (was ist das?) versucht hatte, ein brauchbares Foto von Rentieren zu schießen, so leicht war es in Inari : Ganze Herden wilderten sich durch die Parks und Grünanlagen.
Leicht schimmelig
Kein Mensch, kein Tier fühlte sich belästigt.
Löchriges Fell
Hat das Morgen-Make-Up noch nicht abgenommen
Ich war viel zu früh in Inari angekommen. Das Hotel, das ich gebucht hatte, führte im Internet 14 Uhr für den Check-In an.
Ich hatte aber jedes Empfinden für Zeit verloren. Nach meiner morgendlichen Radtour hatte ich das Gefühl, als sei es schon später Nachmittag. Ich ging in einen Supermarkt, ließ mir sagen, dass es erst früher Morgen sei, kaufte trotzdem ein Dosenbier (Lapin Kulta!) und suchte mir ein schönes Plätzchen. Stellte mein Fahrrad an den Stromschnellen des Ivalokoki ab, trank und wartete, dass die Zeit verrann.
Abgefahren
P.S. Kurz nach 12 Uhr fragte ich im Hotel nach einem frühen Check-In. No Problem. Ich wollte einfach nur schlafen.
Reisewetterbericht: Eine Regenfront ist im Anmarsch. Letzter schöner=sonniger (schön kann er ja auch sonst sein) Tag soll heute sein. Dann mindestens 5 Tage Grauzeit mit Kälte, Wind und ziemlich was von oben.
Also was tun? Nichts – beschloss ich. Nichts organisieren, kein Bett vorbestellen. Losfahren! Und wenn nötig: durch die Nacht (die es grad nicht gibt). Ich wollte Licht genießen.
Es wurde eine 24-stündige Reise durch den Norden Finnlands. 235 Kilometer am Stück bis zur völligen Entkräftung.
Der Anfang: easy. Ebenerdig, eigener Radweg, auf dem ich der alleinige Herr war. Niemand überholte mich, niemand ließ sich überholen. Ich war allein. Diese Route – hoch zum Nordkap – war offensichtlich nicht die Biker-Autobahn.
Ich bewegte mich nun im Innern Finnlands. Seenplatte. Unüberschaubar die Zahl der Gewässer. In vielen machten sich Angler die Füße nass. (Sicher nicht! Sie waren bestens ausgerüstet – ALLE!- mit Gummistiefeln, Spezialkleidung, modernstem Sportgerät.)
Ausdauersport
Ob Mann, ob Frau – sie hatten ihre Ruhe – und ihren stillen Spaß (Sind das die Faktoren für Glück? Finnisches Glück?).
Ein See, ein Teich, ein Tümpel: Keiner war unbehaust.
Weites Seeland
Ich fotografierte mich ein wenig durch diese Unübersichtlichkeit, bis ein Einheimischer vorbeikam, mich auf Finnisch aufforderte, ihm zu helfen, sein Boot zu entwässern (einfach umstülpen und aufgefangenes Regenwasser abfließen lassen), sich bedankte (ich versteh kein Finnisch, aber die Gesten waren sehr freundlich eindeutig) und sich wieder davonmachte.
Stabile Freundlichkeit
Der Mittag war schon vorbei, ich verließ immer wieder die Hauptstraße (E75), schaute, ob es etwas Interessantes jenseits gab.
Immer eine Straße da
Aber Finnlands Provinz glich sich – egal, wo ich fuhr. Schöne (Fertig-) Holzhäuser mit akkurat geschnittenem englischen Rasen (wieso lieben Finnen eigentlich Wildnis?).
So sauber, man könnte vom Rasen essen
Briefkästen nicht an der Hauswand, sondern en bloc am Straßenbeginn.
Auf der Stange
Und Winz-Dörfer, in denen ich manchmal zweifelte, ob sie überhaupt dauerhaft bewohnt sind.
Aller Platz für alle Individualisten
Ab und zu merkwürdiges Schamanenzeugs.
Enthäutetes Tipi
Und immer, immer, immer: die eigene Hütte am Teichufer.
Von Angesicht zu Angesicht
Und immer, immer, immer mit Sauna (hier rechts im Bild).
Ausgeklügelt
Ist das finnische Mittel für Glück einfach nur die Entschleunigung?
Jeder See wirkt wie ein abgesteckter Claim
Mein fotografisches Trödeln brachte mich langsam in Zeitschwiergkeiten.
Aber ein Motiv reihte sich an das nächste.
Als lebte hier Chingachgook.
Paradies für freie Fantasie
Als kämpfte er immer noch gegen die weißen Eindringlinge.
Wie gerne hätte ich jetzt James Fenimore Cooper zur Hand
Und als seien die Mohikaner gar nicht brutal gekillt worden, sondern rechtzeitig nach Finnland ausgewandert.
Ich hab alle Bände von ihm Zuhause
Die Tour wurde nun anstrengender, zeitweise führte die Straße auf 350 Meter hoch. Schon lange war ich durchgeschwitzt. Ich sehnte mich nach einem Bier.
Es war ziemlich spät (21 Uhr) – als ich schließlich die “Gold-Village” erreichte.
Jetzt auch noch "Wilder Westen" hier
Früher eine Banditen-Goldgräberstadt, heute eine stille Touristen-Illusion…
Perfekt inszeniert
… aber mit einem fantastischen Restaurant.
Ich stärkte mich nach 125 Kilometern querfeldein durchs Land mit einer Rentiersuppe (stilecht serviert auf einer Goldwash-Pan) für die Nacht (die es ja nicht gab) und für die nächsten Hundert Kilometer die noch vor mir lagen.
Immer wieder Bauernhöfe und größere Siedlungen. Alle entlang eines Flusses, der oft gestaut wird.
An manchen Stellen seen-haft schön.
Strahlendfrisches Rot
Immer wieder Wasserkraftwerke. Aber bei diesem erschloss sich mir nicht, was diese Rutsche rauf oder runter sollte.
Abgewetztes Rot
Der Wind blies heftig aus Nordwest. Also mir frontal ins Gesicht. Er erschöpfte mich.
Dabei sah der aufgestaute Fluss so still aus.
Algenblau (gibt's das?)
Ich brauchte lange, um in die Hauptstadt Lapplands zu gelangen.
Blütenzart (wie leicht feuchte Schneeflocken)
Rovaniemi : eine moderne Kleinstadt, 6 Kilometer vor dem Polarkreis. Von hier aus starten die Abenteurer. Abenteuer in dieser Provinz-Stadt gibt es kaum.
Hätte ich mich auf meine Wetter-App verlassen, wäre ich im Bett liegen geblieben und hätte mich endlich mal von den Strapazen der letzten Tage erholt. Sturm und Regen waren angesagt.
Aber schon bei Aufbruch in Klitmøller war es zumindest trocken. Wenngleich das kleine Dörfchen – in der Surfercommunity “Cold Hawai” genannt – reichlich verschlafen wirkte. Ich fand kein offenes Café. Fuhr mit knurrendem Magen los.
Leuchttürmchen
Am Morgen blieb es grau. Der Fahrradweg führte durch bezaubernde Dünenlandschaften. Die Farbe Grüngrau dominierte den Morgen.
Wallend
In einer Tanke fand ich schließlich meinen Morgenkaffe.
Je weiter ich mich nach Norden vorarbeitete, um so schöner die Streckenführung. An kleinen Seen vorbei, auf Pfaden, die durch riesige Schilffelder führten. Vorsichtig schimmerte Sonnenlicht aus den Wolken.
Wogend
Ich machte einen Abstecher zum Thorup-Strand und auf einmal lugte die Sonne zaghaft durch Wolkenritze. Nur der Wind peitschte, als wolle er die Fischerboote noch weiter aus dem Meer treiben.
Gestrandet
Endlich mal wieder Farbe vor Linse.
Im Kiesbett
Einheitsfarbe
Beflaggt
Weiter ging’s. Wieder durch Dünen und Dünenwiesen. Der Weg teilweise mit Golfrasen begrünt. Strange.
Von der Schnur gezogen
Heute fast keinen Asphalt befahren – fast ausschließlich herrliche Wander- und Fahrradwege durch einsame Küstenwälder. Flach war es selten. Eher was für Crossbiker.
Erneut steuerte ich einen Strand an und wurde fast weggeweht – so heftig der Sturm.
Die Sonne zeigte sich jetzt kraftvoll und malte die auf Sand gesetzten Schiffe bunt aus.
Schiffschwarm
Die Szenerie hatte einen Hauch von “mediterran”.
Einzeller
Nur nicht die Dörfer – sie wirkten leer, verlassen, aus der Saison gefallen.
Sanddorf
Ich picknickte kurz (1 Banane, 2 Scheiben Brot mit Käse, 1 Flasche Schweppes).
Farbenfroh
Abgelegt
Bedünt
Und fuhr wieder durchs Hinterland. Jedesmal, wenn der Weg durch einen Wald führte, freute ich mich. Dort windete es nicht so stark.
Durchgehend
Königliches Jagdgebiet. Was bedeutete das Schild? Schieß den König? oder Schießen für den König reserviert?
Angeln verboten
Es war schon Abend, als die Sonne sich endgültig verabschiedete, der Sturm beinahe orkanartig wurde und ich die Klippen von Norre-Lyngby erreichte. Das Dörfchen auf der Klippenkante verliert mit den Jahren immer mehr Häuser. Sie stürzen einfach ab.
Ausgeklippt
Vom Meer geholt. Hier bekam ich eine Ahnung, mit welcher Kraft die Nordsee die Küste bearbeitet.
Gischtende See
Gischtende See 2
Kurz vor der Dunkelheit in Lønstrup reingeradelt. Zufrieden und kaputt.
Unterkunft: Hotel Kirkedal. Zweckmäßig eingerichtet. Empfangen wurde ich – wie so häufig – mit einem Zettel an der Tür: Rezeption geschlossen. Schlüssel befindet sich dort. Bei Fragen bitte folgende Nummer anrufen. (80 Euro mit Frühstück.)
Ribe am Morgen – genau so entleert wie gestern bei Regen. Trotz Frühsonne. Merkwürdiges Dänemark. Wo trifft man eigentlich Dänen, wenn nicht auf der Straße? Vorm Dom eine Statue des Missionar Ansgar, der so etwa um 850 die Wikinger zum christlichen Glauben überredete.
Wikingerflüsterer
Ich nahm Richtung aufs Meer. Unterwegs kleine Seen, Teiche, Tümpel. Mir fehlt der exakte Wortschatz für das, was ich im Norden antreffe. Haff, Fjord, Sund… Deich, Damm …was stimmt? (Ich bin Südländer – ich merk es immer mehr.)
Jedenfalls … attraktiv war das Flache durch das Nasse.
Against the sun
Wo kommt eigentlich hier das ganze (Süß)Wasser her? Ausm Boden? (Oh Mann, ich weiß gar nichts.)
MitderSonne
Nach der x-ten mäandernden Dorfstraße die Küste erreicht.
Hinführend
Deich hoch – und runter geguckt. Wattenmeer: seicht. (Füllte sich das Meer oder wich es? Sack Zement! – wer hilft mir bei diesen existientiellen Wissenslücken (Google bestimmt nicht.)
Zielführend
Saftig die Herbstwiesen.
Ins Gebüsch
Und mittendrin ein weiteres Rätsel:
Bürstenrätsel 1
Was sollten diese überriesigen Bürsten im Gras?
Bürstenrätsel 2
Vielleicht könnte mir ein Däne die Antwort geben – aber es war ja keiner da. Und wenn, nur als stummer steinerner Gast.
Weißes Rätsel 1
Bam, Bam, Bam (frei nach Mozart).
Aber diese steinernen Monumente gucken mich nicht an, sie gucken zu den Osterinseln, wo sie offenbar Verwandte haben.
Weißes Rätsel 2
Und weiter, immer weiter. Schöne Küstenfahrradwege. Und so wunderbar angelegt, gepflegt und nebenbei das Meer gebändigt. Ich schaute mich mehrmals um, ob ich hier überhaupt fahren durfte, ohne das Landschaftsdesign kaputt zu machen.
Zielpunkt 1
Eine akkuratere Küste habe ich noch nicht gesehen.
Zielpunkt 2
Aber wo sind die Dänen?
No point
Die Einheimischen?
Hier übrigens endet das Wattenmeer. In Ho Bugt. Warum – hat mir mein Reiseführer nicht erklärt.
Gestreiftes Rätsel
Nach Ho Bugt motte ich meinen Fotoapparat ein. Es stürmt mir ins Gesicht (unverschämt!), es trübte sich ein (Frechheit), es versaute und versuppte mir fast den Tag, bis – kurz vor Sonnenuntergang – sich ein Durchgang, ein Blick ins Paradies öffnete. Und prompt packte ich meine Spiegelreflex wieder aus.
Yeah!
Oh Mann! Und es gab null- ich wiederhole – nicht eine einzige freie Unterkunft hier. Ich wär so gern geblieben.
Sandiger als das Paradies
In dieser fantastischen Dünenwelt.
Zwei Augen Prinzip
Aber ich musste weiter, immer weiter – gegen Sturm, Wind und Böe (wer erklärt mir die Abstufungen?), …
Tschüss
… bis ich mein Unterkunftsziel erreichte: am Stadtrand von Ringkøbing.
Unterkunft: Ein Apartment, dessen Verwalter mir telefonisch beschrieb, wie ich hinfinden würde. Der Schlüssel steckte außen in der Tür. Es war bereits dunkel, als ich aufschloss.
Strecke: 125 km plus 25 km sinnloser Umweg / zusammen also 150 km (09:00 – 19:00)
Die Knie schmerzten noch von gestern. Aber ich wollte jetzt die uninteressante Strecke hinter mich bringen. Also noch mal einen langen Weg vorgenommen.
Die Landschaft vom Vortag hatte sich ins Heute geschlichen. Mir war als durchführe ich alles noch einmal.
Landwirtschaft …
Dominanter Baum
… Weideflächen
Dominantes Grün
… ab und zu von kleinen Weihern oder Miniseen aufgehübscht.
Free like a swan
Und dann passierte mir etwas Merkwürdiges. Der Himmel hatte sich stark eingetrübt, es nieselte. Ich suchte kurz Schutz in einem Warte-Häuschen an einem Bus-Stop auf der gegenüberliegenden Seite. Wenig später bog ich wieder rechts in die Straße ein und fuhr weiter. Ich wunderte mich, dass plötzlich auf den Straßenpfosten, auf denen alle Hundert Meter die Kilometerzahl angegeben wird, die Zahlen wieder abnahmen. Ich fragte mich, warum die Polen plötzlich die Kilometerzählung geändert hatten. Ich fragte mich nicht, ob ich in die falsche Richtung fuhr. Erst als der Regen wieder einsetzte und mir ein schwerer Tropfen einen kräftigen Schlag auf den Kopf versetzte, und dadurch wohl einige Synapsen entklebt wurden, leuchtete mir (es dämmerte nicht, es leuchtete!), dass die Polen nicht einfach rückwärts zählen, sondern ich zurück fuhr – dorthin wo ich herkam. Fast eine ganze Stunde war ich falsch gefahren. 15 Kilometer! Und den gleichen Mist auch wieder zurück. So wurde aus einem langen ein extrem langer Tag.
Ab jetzt checkte ich nach jedem Halt, ob ich die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Der Zweifel war gesät.
Die Sonne setzte sich am Nachmittag wieder durch und machte mich auf diesen Düsenjäger aufmerksam – einfach so vor einem Wohnhaus abgestellt.
Nicht aus dem Modellbaukasten
Schließlich einen halben Kilometer weiter: Eine Flak (?) Jedenfalls eine Kanone.
Ebensowenig
Ebenfalls einfach so – neben einer kleinen Bar, die wiederum an einen dieser Binnenseen angrenzte.
Olympische Ringe geklaut?
Kitschig, aber schön
Ich gestattete mit ein Bier, fragte den Bartender was das mit der Kanone soll – und auch mit dem Düsenjäger. In äußerst gebrochenem Englisch meinte der: Beide Anwesen gehörten ukrainischen Brüdern. Die hätten einen Tick mit diesen Militärsachen. Mehr wusste er aber nicht.
Ich passierte Friedhöfe und Dörfer, Dörfer und Friedhöfe. Kein Grab ohne Blumen.
Verblümt
3 Kulte waren mir bisher in Ostpolen aufgefallen: 1) Marienverehrung (stark!) 2) Pasptverehrung (Johannes Paul II) (halbstark!) 3) Totenverehrung (enorm!)
Die Friedhöfe waren extrem gepflegt und riesig. Manche waren wie kleinen Binnenseen, die ihre Gräber von weit draußen bis an die Ufer der Dörfer spülten.
Überbordend
Ostpolen ist dünn besiedelt. Die Straßen wurden lang und länger, kerzengerade bisweilen. Manche endeten einfach nie.
Straßengerade
Ab und zu eine Pilzsammlerin am Straßenrand, die ihre frische Ernte anbot.
Randständig
Bodenständig
Es dämmerte …
Wohnmobil mit eigenem Steg
… und schnell dunkelte es.
Night falls
Ich packte es gerade noch mit dem letzten Tageslicht bis in mein Tagesziel: Chełm.
Unterkunft in Chełm: “Hotel Lwow”. 1,5 km vom Zentrum weg. Klotz, unpersönlich, überforderter Service. (37 Euro mit Frühstück). Fahrrad in Kammer im Untergeschoss untergebracht.
Früh in den Tag gestartet. Augustów noch im Tiefschlaf.
Quergestellt
Nur Angler unterwegs. (Ob die auch nachts fischen?)
Angelt ein Angler nur oder fischt er auch?
Ich fuhr so gut wie immer auf kleinen Landstraßen. Podlachien heißt die polnische Provinz. Sie ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen des Landes und wohl auch recht abgehängt. Fast nichts außer Landwirtschaft und ein bisschen Tourismus. Wegen der vielen Seen.
Schön beschilft
Aus den seltenen Dörfern wuchsen mächtige Kirchen.
Kein Baum wächst so hoch wie ein Kirchturm
Manche haben landesweiten Rang als Wallfahrtsort:
Hat die der Papst auch besucht?
In dieser Kirche in Sokółka ereignete sich nach Angaben von Gläubigen ein “Hostienwunder”. Eine geweihte Hostie verwandelte sich in “in Muskelgewebe eines menschlichen Herzens, das lebt, aber sehr leidet und bereits in Agonie gefallen ist” – so schreiben es höchst einbildungskräftig die Anhänger dieses Verwandlungskultes in ihren Pamphleten. Tief tief tief ist manchmal der (Aber)Glaube.
Kam dann der Papst auch im Bus?
(Ich war nur kurz in der Kirche. Sie war busladungsvoll mit Pilgern. Das Beste war eh nebendran: eine herrliche Eisdiele. Sie hatte fast italienische Qualität.)
Ich näherte mich immer mehr der weißrussischen Grenze. Konnte die Wälder Weißrusslands sehen. Ausgesprochen schöne Landschaft mit sanftgeschwungenen Waldrücken, sanftgrünen Hügeln, braungrünen Feldern und gradnochgrünen Weiden. Der Herbst beginnt.
Die Straßen oft schöne Alleen, die ich meist allein befuhr. Angenehmes Radeln. (Wenn da nicht die vielen Steigungen gewesen wären … rein in die Mulde … raus aus der Mulde).
Nur einmal heftiger Schwerlastverkehr, rings um eine riesige Sandgrube.
Die Welt auf Sand gebaut
In den Weilern viele Häuser traditionell aus Holz. Manche waren mit baltisch Gelb verschönt.
Und du guckst raus
Manche waren nur vorsichtig farbig
Aus Holz auch zwei kleine polnische Zeitwunder: Moscheen.
Eine in Bohoniki. WinzWeiler. Ein paar Häuser und dieses schöne Zimmermannskunstwerk! Mit Holz baut man in dieser Gegend Häuser und Kirchen. Und eben ein muslimisches Gotteshaus.
Ohne Holzwurm
Eine Frau, in tatarischer Tracht, erklärte drinnen drei polnischen Touristen offenbar das Wesen ihres Glaubens. Ich verstand nur die Worte “Koran” und sonst nichts.
Left side
Ich hätte so viele Fragen an sie gehabt. Ob sie eine Imamin sei? Wie sie die polnische Politik sieht, die keine muslimischen Einwanderer ins Land lassen will?
Left side
Sie sprach aber keine andere Sprache als Polnisch.
Sympathisch
Sie lächelte nur verlegen.
Ende des 18.Jahrhunderts haben sich in diesem Landstrich Tataren angesiedelt. Ihre Nachfahren haben bis heute ihren Glauben bewahrt. Die Gemeinde muss allerdings recht klein sein. Es war Freitag, muslimischer Feiertag, und ich sah außer der Fremdenführerin keine weiteren Gemeindemitglieder.
Eineinhalb Stunden weiter südlich – an der Grenze zu Weisrussland – das Dörfchen Kruszyniany. Nach langer Fahrt endlich erreicht. 80 Einwohner. Auch hier eine Holzmoschee. Gerade noch vor Sonnenuntergang erwischt.
Polnisch Grün
Ich fuhr zu meiner gestern vorbestellten Unterkunft. Ein kleines Blockhaus.
My castle
Ich hatte allerdings einen Gedankenfehler gemacht. Bei der Buchung der Unterkunft hatte ich im Internet von einem tatarischen Restaurant im Dorf gelesen. Und war selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich am Abend dort köstlich verpflegt werden würde. Nix! Ich ging gegen 19 Uhr hin (100 Meter von meiner Unterkunft entfernt) – und es war zu! Schließt immer um 18 Uhr. Klar! Weil die Busse die die Touristen bringen, um die Moschee und das tatarische Restaurant zu besuchen, um 18 Uhr schon wieder abfahren.
Im (sehr kleinen) Dorf gab es noch nicht einmal einen Laden. Tot! Ich suchte verzweifelt nach einer Essmöglichkeit, landete schließlich vor einer Pension, die Gäste beherbergte. Ich fragte dort, ob es nicht irgendetwas Essbares für mich gäbe. Und bekam die volle Ladung polnischer Gastfreundschaft. Ich durfte in der Küche am Katzentisch Platz nehmen und wurde mit einem Zweigängemenü verwöhnt.
Ich bat frech um ein Bier. Die Gastgeberin kramte im Kühlschrank. Das Dorf war anscheinend alkoholfrei (muslimisch?), aber es fand sich etwas für mich. 2 Dosen. Eine nahm ich mit in mein Holzhüttenheim und dankte meinen freundlichen Rettern aufs Herzlichste.
Unterkunft in Kruszyniany “EkoWczasy u Lejli”. Art noble Holzhüttensiedlung. 2er, 3er oder 4er Blockhütten. Ich hatte die kleinste (mit immerhin 40 qm). Ein ältere Dame empfing mich. Sprach ein wenig Englisch und war sehr redselig. Hütte mit Obergeschoss (Schlafen) samt Balkon und Untergeschoss (Wohnbereich). Alles neu und schön. Viel zu groß für 1 Person. Hatte aber nichts anderes gefunden. (40 Euro ohne Frühstück). Fahrrad im Haus untergebracht.
Der erste Eindruck von Polen: außerordentlich gastfreundliche und fröhliche Menschen. Wurde schon bei der Ankunft im Hotel gestern an der Rezeption mit Lachen empfangen. Beim anschließenden Restaurantbesuch nett mit der Kellnerin geplaudert (auf Deutsch).
Heute früh etwas getrödelt. Ausgiebig gefrühstückt. Dann Suwałki angeschaut. Das Städtchen von der Via Baltica gequält. Lastwagen, die in Zweierreihen durch den Ort brummten. Nur der winzige Stadtkern wenigstens mäßig interessant.
Schöner Schein
Polnische Zlotys aus dem Automaten gezogen. Seit langer Zeit zum ersten Mal, dass ich in Europa wieder mit einer fremden Währung umgehen musste. Euros werden hier nicht akzeptiert.
Gleich außerhalb Suwałkis beginnt die absolute Provinz. Pure Landschaft.
Stundenlang durch Wald gefahren. Selten Siedlungen. Und wenn: Manche Häuser hatten einen ganz eigenen Stil.
Schnitte vom Dreieckskuchen
Die Attraktion der Gegend ist das Wasser! Ein Gewirr von Seen, die teilweise untereinander durch Kanäle verbunden sind. Paddlerparadies.
Mal links
Mal rechts
Der schönste und landesweit bekannteste ist der Wigry- See. Berühmt in Polen, weil Papst Johannes Paul II hier einmal einen Ausflug unternahm. Auf dem Boot. Nachdem er zuvor das über dem Wasser thronende Eremitenkloster beehrt hatte.
Eine angenehm ruhige Anlage.
Um den Kirchturm gruppiert
Die Mönche sind längst ausgezogen. (1795 wurde das Kloster säkularisiert.) Sie gehörten dem Orden der Kamaldulenser an. Ich musste am Abend nachschlagen, was dessen Eigenart ist.
In Reih und Reih
Danach wieder Wald-Tortur.
Spinnenkunst
Über holprige Sandpisten. Vorbei an blühenden Bauernhöfen.
Rotgetreide
Und schließlich gut verstaubt in Augustów eingeradelt.
Der Kurort verschlafen, ziemlich uninteressant. Wäre da nicht seine Lage am Augustów-Kanal.
Horizont-Fluss
Er führt Dutzende Kilometer weit und (20 Kilometer tief) in das angrenzende Weißrussland
Unterkunft in Augustów “Pokoje Gościnne Pod Jabłoniami”. Hotel am Kanal gelegen. Hat das schönste Ufer-Restaurant der Stadt. Biergartenatmosphäre direkt am Augustów-Kanal. Hotel in den Fluren auf 70er Jahre getrimmt. Angenehm große Zimmer mit Blick aufs Wasser. (30 Euro mit Frühstück). Fahrrad im Hinterhof angekettet.