Wieder so ein Gegen-den-Wind-Radeln-Tag. Damit eigentlich wie geschaffen für frühe schlechte Laune. Hatte ich aber nicht. Ich fuhr gen Süden. Und das änderte vieles, eigentlich alles. Ich wunderte mich selbst darüber, wie dieser kleine Umstand, Licht wieder von vorne zu haben und nicht ständig im Nacken, die Stimmung beeinflusst. Ich war lebensfroh. Summte vor mich hin. Auch als die Sonne längst schon wieder hinter Wolkenbergen verschwunden war. Ich bin Südländler! Es fällt mir schwer zu verstehen, warum die Dänen als eines der glücklichsten Völker der Welt gelten (laut World Happines Index). Ich weiß nicht, wo Dänen sich aufhalten, in ihrem Land jedenfalls nicht. Ich traf in den Straßen keinen, ich saß oft allein in Restaurants und nach Bars zum Abhängen suchte ich meist vergeblich. In der Woche, die ich jetzt durchs Land reiste, habe ich kaum ein Wort gesprochen. Mit wem denn auch? Aber vielleicht gab es doch Dänen in Dänemark, und sie saßen alle hinter ihren schönen Legofassaden und freuten sich des Lebens? Hygge als eingemauertes Glück?
Mein Tagesglück währte nur kurz. Der Wind wurde zum Sturm und zerbeulte mir das Gesicht. Nach 40 Kilometern hatte ich Lust, vom Fahrrad abzusteigen, in Frederikshavn die große Fähre zu nehmen und nach Schweden überzusetzen.
Shark
Ich hatte Mühe, mich selbst von der Idee abzubringen, meinen Reiseweg abzukürzen. Ich wollte ja noch Kopenhagen sehen. Also hielt ich durch.
Kurz wurde ich mit ein wenig Sonne belohnt. Mit schmucken menschenleeren Dörfern.
Provinz 1
Provinz 2
Mit Butzenscheiben-Romantik.
Putzig
Dann wieder Tagesgrau und böiger Südwestwind. Ich mühte mich, mein Zwischenziel Aalborg zu erreichen. Entkräftet, mit brennenden Knien und heißer Stirn, kam ich in der Stadt am Limfjord an. Die Nacht war bereits in die Straßen gekrochen. Und ich erlebte eine Überraschung: Dänen! Überall Dänen. Junge Dänen. Welch herrliche Stadt. Die Straßen voll, eine Kneipe nach der andern. Grandiose Weinbars. In einer konnte ich sogar ein wenig plaudern. Die Bartenderin erzählte mir, wie sie gestern vom Sturm vom Rad geweht worden war. Zack war sie auf der Straße gelegen. Nur ein paar Kratzer am Knie. Glimpflich. Wir redeten viel über Wind und noch mehr über Wein.
Unterkunft: Hotel Phönix, Stadtmitte. Traditionshaus im alten Backsteingebäude. Innen sehr nostalgisch und liebevoll ausgestattet. Sehr zuvorkommendes Personal. Absolut eine Empfehlung. (90 Euro (mit Frühstück).)
Hätte ich mich auf meine Wetter-App verlassen, wäre ich im Bett liegen geblieben und hätte mich endlich mal von den Strapazen der letzten Tage erholt. Sturm und Regen waren angesagt.
Aber schon bei Aufbruch in Klitmøller war es zumindest trocken. Wenngleich das kleine Dörfchen – in der Surfercommunity “Cold Hawai” genannt – reichlich verschlafen wirkte. Ich fand kein offenes Café. Fuhr mit knurrendem Magen los.
Leuchttürmchen
Am Morgen blieb es grau. Der Fahrradweg führte durch bezaubernde Dünenlandschaften. Die Farbe Grüngrau dominierte den Morgen.
Wallend
In einer Tanke fand ich schließlich meinen Morgenkaffe.
Je weiter ich mich nach Norden vorarbeitete, um so schöner die Streckenführung. An kleinen Seen vorbei, auf Pfaden, die durch riesige Schilffelder führten. Vorsichtig schimmerte Sonnenlicht aus den Wolken.
Wogend
Ich machte einen Abstecher zum Thorup-Strand und auf einmal lugte die Sonne zaghaft durch Wolkenritze. Nur der Wind peitschte, als wolle er die Fischerboote noch weiter aus dem Meer treiben.
Gestrandet
Endlich mal wieder Farbe vor Linse.
Im Kiesbett
Einheitsfarbe
Beflaggt
Weiter ging’s. Wieder durch Dünen und Dünenwiesen. Der Weg teilweise mit Golfrasen begrünt. Strange.
Von der Schnur gezogen
Heute fast keinen Asphalt befahren – fast ausschließlich herrliche Wander- und Fahrradwege durch einsame Küstenwälder. Flach war es selten. Eher was für Crossbiker.
Erneut steuerte ich einen Strand an und wurde fast weggeweht – so heftig der Sturm.
Die Sonne zeigte sich jetzt kraftvoll und malte die auf Sand gesetzten Schiffe bunt aus.
Schiffschwarm
Die Szenerie hatte einen Hauch von “mediterran”.
Einzeller
Nur nicht die Dörfer – sie wirkten leer, verlassen, aus der Saison gefallen.
Sanddorf
Ich picknickte kurz (1 Banane, 2 Scheiben Brot mit Käse, 1 Flasche Schweppes).
Farbenfroh
Abgelegt
Bedünt
Und fuhr wieder durchs Hinterland. Jedesmal, wenn der Weg durch einen Wald führte, freute ich mich. Dort windete es nicht so stark.
Durchgehend
Königliches Jagdgebiet. Was bedeutete das Schild? Schieß den König? oder Schießen für den König reserviert?
Angeln verboten
Es war schon Abend, als die Sonne sich endgültig verabschiedete, der Sturm beinahe orkanartig wurde und ich die Klippen von Norre-Lyngby erreichte. Das Dörfchen auf der Klippenkante verliert mit den Jahren immer mehr Häuser. Sie stürzen einfach ab.
Ausgeklippt
Vom Meer geholt. Hier bekam ich eine Ahnung, mit welcher Kraft die Nordsee die Küste bearbeitet.
Gischtende See
Gischtende See 2
Kurz vor der Dunkelheit in Lønstrup reingeradelt. Zufrieden und kaputt.
Unterkunft: Hotel Kirkedal. Zweckmäßig eingerichtet. Empfangen wurde ich – wie so häufig – mit einem Zettel an der Tür: Rezeption geschlossen. Schlüssel befindet sich dort. Bei Fragen bitte folgende Nummer anrufen. (80 Euro mit Frühstück.)
Schnell erzählter Tag: Schon als ich losfuhr, stürmte es. Erst gegen mich, dann von der Seite. Bald regnete es auch noch. Und es war klar: Der Tag hatte einen dauerhaften Grauschleier
Unterwegs ein paar Vergangenheits-Reminiszensen
Wikinger zu Holzsäulen erstarrt
Ein wenig Neuzeitliches.
Windmonumente
Dann eine wacklige 10 Minuten-Überfahrt über den Thyborøn-Kanal.
Funktional
Entlang einem (bei schönem Wetter sicher) interessanten Naturschutzgebiet geradelt. Wiederholt gegen den Wind geflucht.
Salzwiesenkühe
Auf einer leichten Anhöhe erahnt, wie aufregend die Dünenlandschaft an der Küste war. (Hab aber kaum etwas davon gesehen. Zu regnerisch und grau.)
Und schließlich meinem Gefährten gedankt, dass er mich sicher durch all diese Unbill gelotst hat. Entkräftet kurz vor Sonnenuntergang angekommen.
I like you
Klitmøller, eine Surfer-Hochburg, wie ausgestorben. Gottseidank hatte wenigstens eine Pizzeria auf.
Unterkunft: Guesthouse Klitmøller. Neuer Komplex. Zimmer mit Gemeinschaftsbad und -klo. War aber kein Problem, ich schien alleine zu sein. Die Rezeption war schon längst nicht mehr besetzt. Ein dicker Zettel an der Eingangstür leitete mich zu meinem Zimmer. 80 Euro (ohne Frühstück).
Ribe am Morgen – genau so entleert wie gestern bei Regen. Trotz Frühsonne. Merkwürdiges Dänemark. Wo trifft man eigentlich Dänen, wenn nicht auf der Straße? Vorm Dom eine Statue des Missionar Ansgar, der so etwa um 850 die Wikinger zum christlichen Glauben überredete.
Wikingerflüsterer
Ich nahm Richtung aufs Meer. Unterwegs kleine Seen, Teiche, Tümpel. Mir fehlt der exakte Wortschatz für das, was ich im Norden antreffe. Haff, Fjord, Sund… Deich, Damm …was stimmt? (Ich bin Südländer – ich merk es immer mehr.)
Jedenfalls … attraktiv war das Flache durch das Nasse.
Against the sun
Wo kommt eigentlich hier das ganze (Süß)Wasser her? Ausm Boden? (Oh Mann, ich weiß gar nichts.)
MitderSonne
Nach der x-ten mäandernden Dorfstraße die Küste erreicht.
Hinführend
Deich hoch – und runter geguckt. Wattenmeer: seicht. (Füllte sich das Meer oder wich es? Sack Zement! – wer hilft mir bei diesen existientiellen Wissenslücken (Google bestimmt nicht.)
Zielführend
Saftig die Herbstwiesen.
Ins Gebüsch
Und mittendrin ein weiteres Rätsel:
Bürstenrätsel 1
Was sollten diese überriesigen Bürsten im Gras?
Bürstenrätsel 2
Vielleicht könnte mir ein Däne die Antwort geben – aber es war ja keiner da. Und wenn, nur als stummer steinerner Gast.
Weißes Rätsel 1
Bam, Bam, Bam (frei nach Mozart).
Aber diese steinernen Monumente gucken mich nicht an, sie gucken zu den Osterinseln, wo sie offenbar Verwandte haben.
Weißes Rätsel 2
Und weiter, immer weiter. Schöne Küstenfahrradwege. Und so wunderbar angelegt, gepflegt und nebenbei das Meer gebändigt. Ich schaute mich mehrmals um, ob ich hier überhaupt fahren durfte, ohne das Landschaftsdesign kaputt zu machen.
Zielpunkt 1
Eine akkuratere Küste habe ich noch nicht gesehen.
Zielpunkt 2
Aber wo sind die Dänen?
No point
Die Einheimischen?
Hier übrigens endet das Wattenmeer. In Ho Bugt. Warum – hat mir mein Reiseführer nicht erklärt.
Gestreiftes Rätsel
Nach Ho Bugt motte ich meinen Fotoapparat ein. Es stürmt mir ins Gesicht (unverschämt!), es trübte sich ein (Frechheit), es versaute und versuppte mir fast den Tag, bis – kurz vor Sonnenuntergang – sich ein Durchgang, ein Blick ins Paradies öffnete. Und prompt packte ich meine Spiegelreflex wieder aus.
Yeah!
Oh Mann! Und es gab null- ich wiederhole – nicht eine einzige freie Unterkunft hier. Ich wär so gern geblieben.
Sandiger als das Paradies
In dieser fantastischen Dünenwelt.
Zwei Augen Prinzip
Aber ich musste weiter, immer weiter – gegen Sturm, Wind und Böe (wer erklärt mir die Abstufungen?), …
Tschüss
… bis ich mein Unterkunftsziel erreichte: am Stadtrand von Ringkøbing.
Unterkunft: Ein Apartment, dessen Verwalter mir telefonisch beschrieb, wie ich hinfinden würde. Der Schlüssel steckte außen in der Tür. Es war bereits dunkel, als ich aufschloss.
Flach, klar! Und dennoch meist im 2. Kriechgang. Keine Chance gegen den Sturm, der aus Nordwest blies. Also von vorne. Die Wolken trieben über mich hinweg so schnell wie Vogelschwärme. Durch die Lücken lugte manchmal die Minuten-Sonne mit unwirklichem Gewitterlicht hervor. Kurz vor der dänischen Grenze etwa.
Kirchweg
Ich hatte erwartet, dass es an dem Übergang Kontrollen gibt. Aber die dänischen Rechtspopulisten kriegen wohl nichts hin. Nicht mal Passkontrollen. Gottseidank. Schengen überlebt.
Grenzweg
Kurz nach der Grenze: Platzregen mit Sturm. Die Wassertropfen peitschten mir waagrecht in Gesicht und machten Musik. Und urplötzlich wieder Sommer-Simulation.
Einfahrt ins Dörfchen Møgeltønder.
Dorfweg
Mein Reiseführer behauptete, ich stünde jetzt in der schönsten Dorfstraße Dänemarks. Na ja. Wenngleich …
Schönster Weg
…
Ich kämpfte den ganzen Tag gegen Regen, Hagel und Gegensturm. Zückte die Kamera nur, wenn die Sonne kurz gegen das Dunkle siegte.
Die Wattenmeerküste toll. Außer Schafen keinem Lebewesen begegnet.
Wiesenweg
Dänen sah ich in ihrem eigenen Land nicht. Bis auf einen.
Guckweg
Er verschwand schnell wieder, bevor ich etwas fragen konnte.
Endeweg
Ich hatte von Ribe gelesen, die älteste Stadt Dänemarks (?) und eine der schönsten an der Nordseeküste.
Nasser Weg
Als ich reinfuhr, hatte ein Wie-aus-Kübeln-Regen die Straßen gereinigt und alles Leben hinter dicke Mauern getrieben.
Ich war (fast) allein in der Stadt.
Gegenlichtfarben
Erst abends sah ich leibhaftige Dänen – im Restaurant. Konnte mich aber nicht um sie kümmern, ich hatte genug zu tun, mich an die irren Preise zu gewöhnen.
Unterkunft: Danhostel. Ich hatte mich bei der Buchung vertan und übersehen, dass es eine Jugendherberge war. Von der Rezeptionistin wurde ich gefragt, ob ich Bettwäsche dabei hatte. Nein. Ich musste mir also welche kaufen. Die Unterkunft so teuer wie ein Komfort-Hotel in Deutschland. Mein lieber Däne. Aber sonst: richtig gutes Hostel. Ich kam sogar noch nach 22 Uhr rein. Schlief in einem schmalen Etagebett.
Welche Wohltat, in den Niederlanden Fahrrad überland zu fahren. Mir scheint, die Radwege werden noch besser gepflegt als die Straßen. Heute sogar lange Stücke durch einen friesischen Dünenwald geradelt. Außer mir war dort niemand unterwegs.
Waldeinsamkeit
Von den Dünenspitzen: Aussicht mit Sturm.
Gerichteter Blick
An den Stränden: Einiges los, trotz schlechter Sicht.
Dunstig ist überhaupt keine Beschreibung
Das Wetter in Nordholland wechselte im Minutentakt.
Verschleiert, geschliert
Mal verhalten strahlend.
Spätsommersonnig
Mal überraschend nicht völlig suppig.
Herbstsonnig
Für morgen war ein Temperatursturz angesagt, samt Regen und heftigen Windböen.
Spätsommerherbstsonnig
Ich nutzte die letzten warmen Stunden und setzte mit der Fähre von Den Helder auf die westfriesische Insel Texel über.
Doppelgriffig
Die Insel bestand im Prinzip nur aus Vieh- und Schafsweiden. Mit ein paar eingesprengten Dörfern. Überraschend groß allerdings die Fischfangflotte, die in Oudeschild im Hafen liegt.
Ausladend
Eingerastet
Die Dörfer schmuck, die Häuser frisch getüncht, die Vorgärten akkurat. Ich fühlte mich wie in einer Lego-Welt für Erwachsene. Ich hatte das “S”-Wort eigentlich vermeiden wollen. Aber ich entkam ihm nicht. Trotz überhaupt nicht aufgesetzter Gastfreundschaft, trotz guter Laune, die Kellner und Ladenbesitzer warmherzig verströmten: Es war spießig hier in Nordholland. Wo waren die bärbeißigen Walfänger und Seefahrer, die tätowierten Rocker und amsterdamschen Rumhänger, wo die Flippigen und jungen Straßenkiffer oder Tunixe?
“Gepflegt” war hier alles, von der Straße über den Radweg bis zu den Häusern, den Stränden und sogar das Verhalten der Menschen.
Die größte Extravaganz, die sich Einheimische, Urlauber und zugereiste Rentner erlaubten, war der eigene Hund: gestriegelt, gekämmt, “gepflegt” und immer an der Leine. Jeder hier führte einen Köter mit sich.
Meine Kamera weigerte sich, dieses Elend zu fotografieren. Also begnügte ich mich mit Fassaden …
Windkreuz
…und Straßenansichten.
Leergefegt
Irgendwann würde sich auch wieder die Lust einstellen,
Gereiht
Menschen zu fotografieren.
Begrünt
Vielleicht morgen.
Unterkunft: Hotel De Smulpot. Feines und sehr schönes Boutique-Hotel im Zentrum von Den Burg. Wie alle Unterkünfte sehr hochpreisig. 100 Euro (mit Frühstück). Fahrrad draußen angekettet.
Wie soll ich das erklären, ohne nostalgisch zu wirken? Ich hatte mich kurz nach Baltschik verfahren, war ins “Gebüsch” geraten und entdeckte dort herrliche Katen.
Verblüht
Sie schienen noch gar nicht so lange verlassen. Die Farben noch nicht vollständig verblasst.
Sah so die bulgarische Schwarzmeerküste vor zehn oder 20 Jahren aus?
Verblichen
Nicht, dass es keine Entwicklung geben darf. Keine Modernisierung. Nicht, dass der vergangene Muff nicht ausgemistet werden müsste.
Aber so? So geschichtslos? Nichts Gewachsenes. Nur Beton. Muss man so eine schöne Landzunge zubauen und doch unbehaust machen?
Verpasst
Wenn da Fischer-Katen stünden, Strandbuden, kleine Pensionen, Surfläden, wenn da Kiter, Träumer und Tunixe sich am Strand tummelten? Wegen mir auch vegane Omms und Zehenspitzenyogis. Wär diese kleine Welt da unten nicht besser? Ganzjährig, statt nur von Mai bis September?
Vertan
Als ich wieder oben – auf dem Riffkamm – war und weiter Richtung Osten fuhr, erwischte mich der Sturm. Meine Wetterapp hatte ihn angekündigt, mir aber verschwiegen, dass er heimtückisch war. Er blies mich fast vom Rad. Mehrmals. Er behinderte mich stundenlang. Er machte die Fahrt zur Qual. Selbst als ich längst wieder unten im Tal war, eben fuhr. Ich fühlte mich wie im Windkanal – fixiert – ohne Chance voran zu kommen.
Getäuscht
Gott weiß, wieso ich doch die rumänische Grenze erreichte. Und noch die 12 Kilometer bis zum Kurort Mangalia schaffte.
Unterkunft in Mangalia: Hotel Solymar. Neuer großer Hotelkomplex am Hafen. Schön bunt, modern. Sehr hilfsbereiter Empfang. (Fahrrad in Abstellkammer gezwängt. 31 Euro (ohne Frühstück).
Kaum war ich aufgebrochen, bremste mich eine “Raupen-Kette” ab. Diese Prozessionsraupen sollen beim Anfassen heftige Allergieschübe auslösen. Also unternahm ich keinen Rettungsversuch, um die Tierchen vor dem Überfahrenwerden zu retten. Warum sie sich aufreihen, sich aneinander ketten und damit verletzbarer machen, verstehe ich allerdings nicht.
Raupen-S-Bahn
Die Straße führte mich steil nach oben, dann verließ ich den Asphalt und stürzte mich wieder nach unten …
Wellenreiten (trocken)
… Strandtag!
Schon nach einer halben Stunde kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Robinson Crusoe Strand
Ich bewegte mich in einer Wunderwelt.
Robinson Crusoe hat eine große Auswahl
Eine Bucht reihte sich an die andere. Nirgends auch nur ein Mensch, ein domestiziertes Tier, eine Bewegung zu sehen. „Paradies“ schoss es in mich: „Paradies“.
Trotz milchiger Sicht packte ich meinen Fotoapparat erst gar nicht mehr ein. Wie muss das erst bei klarem Sonnenschein und feinem Schattenwurf – früh am Morgen oder spät am Abend – wirken! Ist das Paradies immer fern? No! no! no!
Dschungelstrand
Ich folgte einer Schotterpiste, die mich durch einsamste Landschaften lotste.
Küstenschotterpiste
Ich kam kaum zum Atmen, nicht wenn ich nach unten blickte, nach vorn, um mich herum.
Standfest
Auch standfest
Völlig unverständlich, dass hier Besucher erst ab Juni kommen – und dann auch noch alle auf einmal.
Grandiose Westküste der Halbinsel Sithonia.
Einfach schön
Es hörte überhaupt nicht auf.
Einfach wunderschön
Dem Strand vorgelagerte Lagunen.
Frühlingsbote
Der Ginster lies die ersten Blüten ausbrechen und lockte Kleinvieh an.
Frühlingsbote 2
Die Sicht immer diesiger, trotzdem …
Feinsandig
… ich frohlockte laut – und kam kaum voran. Hielt mehr, als ich fuhr. Urplötzlich schlug aber das Wetter um. Schon in diesem staunenswerten Naturhafen kam eisiger Wind auf, heftige Böen peitschten auf mich ein. Ein Sturm baute sich auf.
Es klärt sich was
Ich war inzwischen wieder auf der (kaum befahrenen) Autostraße und kämpfte mich an der Südspitze Sithonias einen Pass hoch. Fror auf einmal. Musste mehrmals absteigen, um nicht vom Rad geweht zu werden.
Unten warfen sich die Wellen mit Macht an die Küste, so als wollten sie die übermächtigen Berge angreifen und langsam schwächen.
Küsten-Tosen
Als würde gerade die Welt erschaffen
Nach steiler halbstündiger Abfahrt, vorbei an riesigen Schafsweiden und Ziegenställen, stellte ich im Ferienort Kalamitsi mein Fahrrad kurz ab, suchte nach einem offenen Café oder einer Taverne. Fehlanzeige, Nichts, rein gar nichts hatte in diesem so schön gelegenen Kaff offen, nicht einmal ein winziger Supermarkt.
Ich hatte unterwegs schon mit meiner HotelApp versucht, eine Unterkunft vorzuorganisieren. Fehlanzeige. 100 Kilometer Küstenstrecke ohne eine einzige offene Pension. Absolute Nebensaison. Inexistentes Gebiet!
Angelehnt
Ich brauchte noch einmal fast zwei Stunden, um den Wind zu besiegen und um zu meinem eigentlichen Ziel zu kommen: das Küstenstädtchen Sarti. Ich vertraute darauf, mir dort ein Privatzimmer organisieren zu können.
Wellenangriff
Ich wurde nicht enttäuscht. Es wurde ein interessanter Abend.
Auch Sarti war zunächst einmal wie ausgestorben, so gut wie nichts war offen.
Erstes Glück: Ich sah Bewegung in einem Café. Ich ging entschlossen auf die Tür zu und schon kam mir eine ältere Frau entgegen und fragte im besten Deutsch, ob ich ein Zimmer suche. Sie war vor einer Stunde zusammen mit ihrem Sohn aus Thessaloniki gekommen, um ab jetzt bis November ihre kleine Pension in Sarti zu betreiben. Ich war der erste Saisongast. Sie fegte schnell noch den Raum aus, organisierte Bettwäsche und voilà: Ich war untergekommen. Die Pensionsbesitzerin hatte 15 Jahre eine Kneipe in Solingen betrieben und hatte sich dann entschlossen, in der alten Heimat wieder etwas aufzubauen. Nach einer halben Stunde kannte ich ihre komplette Familiengeschichte.
Zweites Glück: Ich fand am Abend eine offene Taverne. Die einzige, wie mir der Wirt versicherte. Er rief seine Mutter von irgendwoher, dass sie mir ein Abendessen zubereite (aus Tiefkühlfrost).
Ich war auch lange alleiniger Gast, bis sich auf einmal ein großgewachsener Freund des Wirtes dazu gesellte.
Er kam rein mit Wollmütze und in Fischer-Tracht: Langer grüner Parker und weite grüne Hose aus Ölhaut. Eine imposante, stolze Figur mit einem grauweißen Moustaki-Wuschelbart, wie ihn viele orthodoxe Priester tragen. Er erzählte von der Fischerei, die er vor einigen Jahren aufgegeben habe. Davon, dass die Ägäis überfischt sei, kaum ein Fischer mehr nachhaltig arbeite und er selbst keinen Spaß mehr an seinem Beruf habe. Jetzt sei er 60 Jahre und es sei genug.
In schlechtem Englisch verständigten wir uns.
Ich reizte ihn ein wenig von „früher“ zu erzählen und er schwärmte davon, wie er “früher” Touristinnen für jeweils eine Saison kennengelernt habe: Däninnen, Deutsche, Französinnen. Ich nannte ihn einen Beachboy und er musste lachen.
Zu später Stunde verriet ich ihm den eigentlichen Grund, warum ich auf meiner Reise unbedingt in Sarti Zwischenstation machen wollte: Nostalgie.
Ich war vor genau 42 Jahren schon einmal an diesem Ort gewesen. Hatte 1 Woche lang an einem Strand nahe des Dorfes (in einem Bundeswehrschlafsack) geschlafen. Von hier aus wollte ich mit einem Boot dann in die Mönchsrepublik Athos übersetzen. Die Einreise-Papiere hatte ich schon zusammen. Ich bekam aber plötzlich hohes Fieber, konnte den festgesetzten Termin nicht einhalten und hatte es so nicht mehr auf diese nur von Männern bevölkerte und bewirtschaftete Halbinsel geschafft. Was – so scherzte ich – vielleicht ein Glück war. Jemand hätte mir nämlich damals erzählt, dass einige Mönche gar nicht so “keusch” leben würden, sondern ziemlich heftig hinter jungen Männern (Touristen) her gewesen seien. (Ich drückte es etwas drastischer aus.) Ab diesem Moment gefror das Gespräch. Der Seemann wurde mürrisch, war sichtlich angeknockt.
Ich sah meinen Fehler und versuchte das Gespräch wieder auf andere Themen zu lenken. Der Seemann schimpfte auf Griechisch, dann redete er auf mich ein, dass Athos eine großartige Republik sei – mit großartigen und gebildeten Mönchen. Dass ich gut täte, doch noch einmal dorthin zu gehen, um zu sehen, welche spirituelle Erfahrungen dort aus dem mönchischen Leben erwüchsen.
Ich ahnte, dass er oft dort verweilte, vielleicht regelmässig seine österlichen Exerzitien absolvierte, vielleicht mit Gedanken spielte, ganz dort zu leben.
Nach und nach vertieften wir uns dann aber auch wieder in andere Sujets, unterhielten uns über Mikis Theodorakis (überragend) und Georges Moustaki (schräger Romantiker), Demis Roussos (schrille Stimme), über die alten Zeiten. Der Wirt beteiligte sich jetzt ebenfalls und servierte seinen Spezialschnaps (doppelt destillierten Ouzo). Als ich mich verabschiedete, lagen wir uns alle Drei in den Armen und versprachen, uns wieder zu sehen.
Unterkunft: Pension Petris. Schön strandnah. Meerblick. Neu eingerichtet. 30 Euro (ohne Frühstück)
Vielleicht wollte sich Spanien zum Abschied noch einmal von seiner sympathischen Seite zeigen. Ich rollte Richtung Frankreich, etwas von der Küste versetzt. Es begann mit einen sehr schönen Feldweg.
Flachweg
Ich kreuzte Bäche …
Bachweg
… und ließ mittelalterliche Dörfchen links liegen.
Burgweg
Bog auch mal ab. Und tauchte ein.
Marktplatzweg
Am frühen Nachmittag trank ich einen Wein in der einzigen Bar eines Dorfes. Als ich zahlen wollte, konnte ich mein Portemonnaie nicht aus der Gesäßtasche ziehen, der Reißverschluss klemmte. Ich bekam ihn auch mit Gewalt nicht auf. Die Wirtin bemerkte es, und machte sich resolut an meinem Hintern zu schaffen. Sie bekam den Geldbeutel irgendwann frei. Und sie gab mir noch einen spanisches Sprichwort mit auf den Weg: “Más vale maña que fuerza!” (Mit Geschicklichkeit kommst Du weiter als mit Kraft.)
Kurz: Im Hinterland war Spanien ganz Provinz. Unverstellt. Angenehm.
Sogar die Küstenbebauung nahm leicht ab.
Kieselweg
Dann aber schien es, als stemmte sich das Land dagegen, dass ich es verließ. Steil ging es bergauf. Dazu jazzte ein frontaler Wind, der schon Sturm war. Zigmal musste ich vom Rad, um nicht umgeblasen zu werden.
Ich nahm mir die Atempause, um kurz Bilanz zu ziehen nach etwas mehr als 2.000 Kilometern spanischer Küste, die ich rauf und runter gefahren war. Auch wenn am Schluss mein Aufmerksamkeitsmuskel fast vollständig zugemacht hatte. Auch wenn ich immer mehr Wut angesammelt hatte auf das architektonische Desaster der Mittelmeerküste: Ich liebte dieses Land. In jeder Bar wurde ich gut empfangen, in (fast) jedem Restaurant gab es hervorragendes Essen, an jeder Hotelrezeption wurde ich interessiert befragt. Großzügigkeit war überall zu spüren.
Eine letzter Blick zurück – auf Portbou – und auf Spanien.
Steilweg
Nach dem Pass öffnete sich Frankreich vor mir. Mit verlassenen ehemaligen Zollhäuschen.
Ach wie schön grenzenlos ist Europa
Und mit einem Wahlplakat von Marine Le Pen. Die Europahasserin und -zerstörerin wirbt für sich als neue Präsidentin der Grande Nation direkt an der Grenze zu Spanien. Am Sonntag sind Wahlen.
Blonde poison
Der Gegenwind steigerte sich fast zum Orkan, aber die Pyrenäenausläufer wurden langsam sanfter. Und: Es fehlten die weißen Pünktchen in den Bergen. Nirgends weißgetünchter Beton wie an der spanischen Küste. Eine Augenweide.
Vive ...!
Mit Anbruch der Dunkelheit in Collioure eingefahren.
Unterkunft: Hotel Le Frégate. Sehr schön gelegen (Hafennähe). Sehr angenehmer Empfang. Fahrrad in Empfangshalle abgestellt. 65 Euro (ohne Frühstück).
Irgendjemand hatte in der Nacht vergessen, die Windmaschine auszuschalten. Wie aus einer Düse eines Jets zischte mir der Sturm entgegen. Ich war Richtung Mittelmeer unterwegs, und genau daher blies der berüchtigte Levante. Übersetzung von Levante: schrägablandiger starker Fallwind aus dem Osten.
Elektrische Müller
Das ganze Tal von Zahara de los Atúnes mit Windrädern bestückt. Sie feierten ein Fest. Ihre Blätter rotierten so schnell, dass sie ein ohrenbetäubendes Grollen produzierten.
Die Getreidehalme der andalusischen Felder legten sich flach. Zitterten als stünden sie unter Strom.
Elektrisierte Wiesen
Völlig unbeeindruckt dagegen der Sherry-Stier auf dem Hügel
Sherry-Star
Wie die Reiter in der Bucht es schafften, voran zu kommen, war mir ein Rätsel.
Fortgeschrittene Strände
Ich jedenfalls gab auf. Schon am Mittag. Selbst im Flachen trat ich den ersten Gang. Musste mehrmals absteigen, um nicht umgeblasen zu werden.
Suchte mir ein Hotel in der verträumten Altstadt von Tarifa. Der Hauptstadt des Windes. Maurische Gässchen.
Maurisches Gässchen
Sympathische kleine Höfe und Parks.
Maurischer Winkel
Pittoreske Fassaden.
Maurische Tür
Und ein hässlicher Weg zur Isla de Tarifa. Der Weg trennte geographisch exakt die Meere. Rechts (westlich) der Atlantik. Links (östlich) das Mittelmeer.
Geteilter Ozean
Am langgezogenen Noch-Atlantik-Strand: die Levante-Surfer.
Atlantik first
Während mir der Wind zur Hölle geworden war, durften diese Kiter in ihrem Himmel schweben.
Against the waves
Against the storm
Against the gravity
Against all odds
Waterboarding
Unterkunft: “Posada La Sacristía”. Sehr schönes historisches Haus in der Altstadt. Wunderschön eingerichtet. Sehr aufmerksamer Service. (56 Euro ohne Frühstück). Fahrrad in der Nähe des Empfangs abgestellt.